Zweiter Tag ist letzter Tag...

Und ich sage noch:
"Ich habe mit Perimeter ein gutes Gefühl!"
Und frage mich als ich gegen Mittag in die Nähe des Vancouver Flughafens zu meinem Job fahre, warum ich ein so schlechtes Gefühl habe.
Gerade jetzt.
Vielleicht liegt mir noch das Familienfest in Coquitlam im Magen.
Dieses:
"Und diese Freunde kenne ich schon jahrelang. Und das ist meine Tochter. Sie und ihr Bruder sind sich sehr nah."
Ganz gewiss das ... und doch mehr.

Als ich zu meinem Job komme steht ein sixpack Bier um Lunchroom auf dem Tisch.
Ich begrüße eine potentielle Kollegin und schon kommt mein Chef auf mich zu, den ich erst jetzt das zweite Mal sehe und sagt:
"Ich möchte mit dir reden."
Er hat einen seltsamen Ernst in der Stimme.
Etwas unfassbares ist passiert. Das weiss ich genau.
Und doch schwiingt etwas Stolz mit in seiner Stimme.
Stolz darauf, dass er jemand ist, der eine Tragödie erlebt.

Kann es nicht besser beschreiben.
Er geht in sein Büro, ich setze mich ihm gegenüber und er sagt:
"Ab Freitag gibt es den Whistler Express nicht mehr."
"Was?"
Ich bin sprachlos und aufgeregt gleichzeitig.
Verstehe das Drama.
"Warum?", frage ich.
Christine - die englische Lady die ich beim Bewerbungsgespräch so sehr mochte - setzt sich in jenem Moment mit ins Büro.
"Irgendwas mit nem Gericht.", sagt sie.
"Es ist so...", sagt er (dessen Name ich noch nicht einmal weiss - wie gesagt - mein zweiter Tag)
"Perimeter hatte einen Vertrag mit dem Flughafen und der Vertrag (also die Miete) wird nicht verlängert..."
Ich denke an Rolf und meinen Großvater (ich weite das mal nicht aus...) und verstehe blitzschnell worum es geht.
"Ohhhh.", sage ich.
Und weiss nicht, was ich weiter sagen soll.

"Trinkst du?", fragt er.
"Ähhh...Ähemmmm...", stottere ich.
"Also. Da ist Bier...", sagt er erklärend.
"Natürlich trinke ich Bier. Ich bin deutsch.", sage ich. Denn ich kokettiere wann immer ich kann mit meinem "Deutschtum"

"Wie lange arbeitest du schon hier?", frage ich.
"Zehn Jahre."
"Neun Jahre."
Antworten sie mir.
"Und wie lange wisst ihr das schon?"
"Seit ...", Christine schaut auf die Uhr. "... in etwa zwei Stunden."
"Wow.", sage ich...
Dann füge ich klugscheißerisch hinzu:
"Naja. Jetzt ist erstmal ein Schockzustand da... Die fünf Stufen der Trauer kommen noch."
"Ich dachte es wären sieben...", sagt er.
Und da ich es auf einmal nicht mehr genau weiß, sage ich nichts mehr.

"Es ist an Dir ob Du bleibst oder gehst...", sagt er und ich zögere.
Gedanken rasen in mir herum.
Ich habe weder Nokia zurückgerufen, die an mir als Language Tester interessiert waren, noch das Holiday Inn, die an mir als Travelagent interessiert waren.
Ob das jetzt zu spät ist?
Soll ich sie gleich anrufen?
Ist das nicht ...
was ist das Wort doch gleich...
hmmm...
Piätätlos?!?!

Ich bleibe eine Anstandsstunde und beobachte mit staunendem Auge, wie unterschiedlich die Menschen mit dem Drama umgehen.

Christine weint ...
Charles weint nicht und ist cool. Cooler geht es nicht.
"Es war sowieso nur ein Teilzeitjob.", sagt er.
Ich überlege, ob ich wieder im Fucking Aquarium anfangen soll.

Lianne weint nicht und ist gefasst aber traurig.
Pricilla macht sich die zweite Ladung Popcorn und will nicht mehr länger das Kundentelefon bedienen. "Ich habe keine Lust... keine Lust drauf.", mampft sie vor sich hin.
Ich überlege, ob ich es mit meiner Magister-links-ehre vereinbaren kann fürs Holiday Inn zu arbeiten.

Ein Fremdkörper in Form einer endvierzigerin entert das Untergangsstimmungsbüro mit lachendem Auge.
"Ohhh... Es wäre mein erster Tag gewesen.", strahlt sie.
"Wer bist du?"
Sie redet ununterbrochen...Un-unter-brochen.
Und als ich ihr entkomme, weil ich mit meinem Chef vor die Tür gehe und ein Zigarette rauche (von den vier am Tag rauche ich in dieser Zeit zwei ... heute werden es wohl sechs Zigaretten werden) kommt sie hinterher...

Mein Chef steht da und zuckt mit den Achseln:
"Da kann man ja doch nichts tun. Und alles geht weiter."
"Ja. Das denke ich auch.", sagt die Endvierzigerin.
"Man muß nur positiv denken.", sagt er. "Meine Schwester hat Lupus (ich weiss immer noch nicht was das ist - kenne es nur aus Dr. House) und ich sage ihr immer: du mußt positiv denken."
"Das denke ich auch.", sagt sie und setzt zu einem Monolog an:
"Mein Vater war bipolar. Er ist dieses Jahr im März gestorben. Bei uns im Haus war es nie lustig. Er hatte wohl in seinem leben keinen einzigen lustigen Tag. Ich bin dann mit fünfzehn ausgezogen. Meine Mutter ist schwere Alkoholikerin. Aber Gottseidank ist sie es erst geworden, als ich ausgezogen bin. Aber meine Schwester .... die ist..." sie wedelt mit ihrer linken Hand vor ihrem Gesicht herum "... die ist verrückt."

Mein Chef versucht damit umzugehen... und ich überlege, ob ich den Nokia sprachtest lieber jetzt machen sollte...

Und ich gehe. Irgendwann.
Sage allen Adieu und alle umarmen mich...
Es wäre nett gewesen mit ihnen zu arbeiten...das weiß ich.

Auf dem Heimweg rufe ich das Holiday Inn an:
"Ich war auf einem Kurzurlaub ausserhalb. Deswegen rufe ich erst jetzt an. Ist die Position schon vergeben?"
"Nein."
Nach tausend Fragen und nachdem mein Telefon einmal abgestürzt ist und ich bei Seven Eleven eine neue Telefonkarte kaufen musste, habe ich nächsten Dienstag ein Vorstellungsgespräch.

Im Waves Coffeshop schreibe ich meinem Aquariumschef eine Mail und bekomme als Antwort:
"Du kannst hier arbeiten. Jedes Wochenende.Kein Problem."
Im Waves Coffeeshop mache ich einen dämlichen Sprachtest und überlege fünf Minuten, ob man Access Point, Snapper Fish, download übersetzten muß und was zum Teufel MEKS ist oder sind...

Aber ,..
sprachlos bin ich noch immer...
Der schöne Whistler-Plan...
Es hat nicht sollen sein.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

So eine komische Begebenheit. Äußerst skurril. Und du natürlich mittendrin. Unfassbar. Ausgerechnet jetzt - der Winter steht praktisch im Zimmer und das Busunternehmen kriegt keine Verlängerung des Vertrags ins "herrliche Whistler". Bedauerlich. Sehr. Die Wirtschafts-, Finanz-, Ernährungs-, Gesundheits-, Schuhcreme, Stangensellerie-Krise ist eben überall... An dich persönlich: kokettiere bitte nicht immer mit deinem Studien-Abschluß und interpretiere irgendeine Bedeutung rein. Das lohnt sich nicht. Lohnt sich nicht. nicht. nicht. nicht.

Hochachtungsvoll jo