Als ich ins Aquarium kam war er schon da.
Gut. Vielleicht war er nicht wirklich da, sondern nur sein Geist.
Das war mir schon genug.
Wie ein Albtraum der unter der Oberfläche lauert und von dem man weiß, daß er trotzdem vorhanden ist – der nur darauf wartet in einer stillen und ruhigen Minute anzugreifenund dem Träumer allzu deuttlich vor Augen führt, was eine Segeltour auf stürmischer See bedeuten kann. Ausser Übelkeit und sich in die falsche Windrichtung zu übergeben.
Ein grauer Herr. Wie aus dem Roman Momo entsprungen.
Es war der erste Tag für drei neue Mitarbeiter, die hochmotiviert und pünktlich zur Arbeit erschienen waren.
Ihr erster Tag und zugleich der Tag an dem mein Manager zu mir sagte:
“I just gt my two weeks notice.” und mich dabei grinsend anstarrte.
“From the grey guy?”
Ich muß mich fassen, sah es kommen, denn er ist nun wirklich nicht der beste Manager auf der Welt. Es war abzusehen. Und doch kommt es überraschend.
Der graue Herr stellt sich nicht vor. Er steht plötzlich-ganz selbstverständlich- hinter dem Verkaufspult.
Mein Manager ist nervös. Macht weiter seine Arbeit. Beachtet den grauen Herren nicht weiter und die einzige Erklärung, die ich bekomme ist: “Ich habe früher mit ihm zusammengearbeitet”
ich arbeite die Kanadierin, den Brasilianer und den Phillipino ein. Erkläre ihnen das Computersystem, erkläre ihnen die Photomacherei. Ab und an steht der graue Herr direkt vor mir...
Ab und an hinter dem Pult ...
Ab und an blinzelt er von weitem...
dann sagt er zu meinem Manager: “Laß uns in das Büro gehen.”
Nach diesem Gespräch..am Samstag vor Weihnachten... die zweiwöchige Kündigungsfrist.
Er hat vierzehn Monate ohne einen freien Tag gearbeitet, hat von oben nur Druck bekommen und kein gutes Wort. hat sein bestes – als eigentlich gelernter Techniker – gegeben.
Als großer Träumer, der mir einmal gestanden hat, daß er in seinen Träumen die Zukunft von anderen Menschen voraussehen kann.
Der nächste Tag kommt und mit ihm der graue Herr und der vierte Advent. Nicht so der Geist von Weihnachten. Auch mein Manager ist da. Irgendwie bewundere ich ihn. Dafür, dass er da ist. Daß er nicht alles hinschmeisst.
Das tut er für den heutigen Tag erst, als ich ihn frage: “Hast du denn genug Geld?”
Daraufhin wird er blass und sagt:
“Ich will hier nicht länger sein.”
Ich spüre seine Panik unter der Oberfläche und sage nur:
“Ich schaffe das schon!”
Wenn der graue Herr ein grauer Herr ist, dann ist mein baldiger Ex-Chef eine Art Hexe. Blitzschnell verpufft.
Einmal im Kreise gedreht und Schwupps war er verschwunden.
Also übernehme ich die Leitung. Bin die Geschäftsführung und somit dem grauen Herren und seinen Argusaugen ausgeliefert.
Er kommt direkt auf mich zu, stellt sich neben mich (wobei mir unglaublich kalt wird) und fragt
“Und wie gefällt dir der Job?”
“Hmmm. Ganz okay.”, antworte ich.
“Nur ganz okay?”
“Ja.”
Ich weiß, dass er so etwas hören möchte, wie:
“Grandios. Es ist der beste Job den ich jemals hatte.” Aber da das nun überhaupt nicht der Wahrheit entspricht, sage ich es auch nicht. Ich habe keine Lust mich zu verbiegen, obschon ich weiß, was er hören will. Bin nicht bereit ihm nach dem Mund zu reden.
“Du weißt schon. Wenn man den ganzen Tag vor dem Greenscreen steht, ist es langweilig und anstrengend.”
Er unterbricht mich und sagt kalt:
“Ich habe genau dort angefangen. War auch Fotograf und manchmal wünsche ich mich dorthin zurück”
“Und was machst du jetzt?”
Zum einen geht mir seine arrogante Art auf die Nerven und zum anderen seine männliche Machoart. Ich kann ihn nicht leiden. Ganz und gar nicht.
Er gibt mir eine ausweichende Anwort, woraufhin ich ihn frage:
“Du reist also durch Kanada und wo immer eine Filiale Probleme hat feuerst du den Manager und räumst den Laden auf?”
“Nicht nur in Kanada, Auf der ganzen Welt.”
“Da musst du ziemlich einsam sein...”, wage ich mich vor. Nur um zu sehen, wie er darauf reagiert.
“Nein. Warum?”
Er sieht mich kalt an. Mit einer Kälte, die ich schwer ertragen kann.
Ein grauer Herr...
Nun merke ich erst, wie sehr die Allegorie zutrifft. Wie sehr der Punkt mit dieser Umschreibung getroffen ist.
Graue Herren rauchen deine Zeit. Und wenn sie keine fremde Zeit mehr haben. Wenn sie nicht mehr die durch Erpressung und Druck erlangte Zeit haben, lösen sie sich in Luft auf.
Gleichzeitig mit deiner Zeit nehmen sie dir deine Phantasie, deine Imagination, dein Lachen und pressen dich in eine von ihnen erfundene Maschinerie. Machinerie Arbeit.
Alles in mir schreit “Nein!”, aber ich bin für dieses Wochenende gewillt mit ihm zu arbeiten.
Meine Meinung über ihn habe ich mir schon lange gebildet.
Dazu hätte ich das folgende Gespräch nicht benötigt.
Er fragt mich aus. Fragt mich über meinen Exmanager aus. Fragt mich über die Fluktuation von Arbeitern aus. Und ich sage ihm die Wahrheit.
“Es ist Vancouver. Hier gibt es Jobs wie Sand am Meer. Keiner ist gewillt in so einem Job für neun Dollar zu arbeiten. Ich bin hier nur, weil ich elf Dollar bekomme. Vancouver boomt. Auch wenn das übrige Kanada nun auch langsam von der Finanzkrise betroffen ist. Vancouver hat Olympia 2010.”
“Ich komme aus den Staaten und dort tun die Menschen alles um ihren Job zu behalten.”, sagt der graue Herr.
“Nun ja. Vancouver ist anders!”
Er lächelt, weil er lächeln muss, weil sein Verstand ihm sagt, dass ein Lächeln jetzt angemessen ist. Und sein Lächeln gleicht eher einer Grimasse, als einem richtigen Lächeln.
“Wir werden sehen!”
Nach ein paar Tagen im anderen Job komme ich am ersten Weihnachstag, (Christmasday) zurück ins Aquarium. Ich freue mich meine Mitarbeiter zu sehen, bekomme ein Geschenk von Bonnie, was mein Weihnachten rettet und lache viel mit den Aquariumsleuten.
Und versuche es nicht weiter ernst zu nehmen, dass mir der graue Herr mit seinem sardonischen Lächeln unterstellt, ich hätte das Netzwerkkabel getrennt, hätte Geld aus der Kasse genommen (“Es fehlen fünfzig Dollar”), hätte ...
Der zweite Weihnachtsfeiertag ist es erst, an dem ich dem grauen Herren gegenüberstehe und einmal mehr eine Entscheidung treffe, die eher idealistisch als alles andere zu nennen ist.
Den ganzen Tag über hat es geschneit. Es hat nicht aufgehört zu schneien. Immer weiter sind die Flocken gerieselt und so steht Nino dann in der Mitte des Aquariums, hält ein Mikro in der Hand und hält alle zehn Minuten dieselbe Ansprache:
“Wegen des Schnees haben die Busse massive Verspätungen. Wenn Taxis überhaupt in den Stanley Park kommen, so muß man mit einer Stunde Wartezeit rechnen. Der Sonnenuntergang ist gegen 16 Uhr 30. Bitte halten sie sich nicht allein nach Sonnenuntergang im Stanley Park auf.”
Es ist eine Untergangsstimmung im Aquarium und die Frage: “Wie kommen wir hier raus” steht im Raum.
Alle Hände werden fürs Schneeschippen benötigt und ich kann es nicht länger mit ansehen, wie alle mit anpacken und ich im warmen sitze und nichts zu tun hab e.
Ich gehe nach draussen und will helfen, als mir der graue Herr entgegenkommt:
“Ich wollte nur fragen, ob Du Essensreste im büro hast?”
“Nein! Ich habe nichts im Büro!”
“Okay.”
“Ich helfe jetzt.”,sage ich ihm. Als Entscheidung und nicht als Frage.
Er überlegt und sagt dann:
“Wenn du helfen musst, dann schick den jungen Mann.”
Jay – der Phillipino – wird geschickt.
Und ich sitze dämlich herum und warte, dass vielleicht doch noch jemand sein Photo kaufen möchte.
Nach einer halben Stunde kommt der graue Herr zurück.
“Wo ist Jay?”
“Schnee schippen”
“Was?”
“Ja.”
“Immer noch?”
Er stürmt hinaus, kommt mit Jay zurück und ... ist erstaunlicherweise wütend.
“Wenn man helfen will, dann hilft man vier Minuten. (er sagt nicht fünf. er sagt tatsächlich vier!) Dann hat man genug geholfen. Dann kommt man wieder zurück.”
“Aha.”, antworte ich und gucke ihn fragend an. Fragend deswegen, weil ich mich frage, wo genau sein Herz sitzt. Sieht er nicht das Chaos da draußen?
Dann sieht er mich an und fragt.
“Für wen arbeitest du? Für Showtimes oder fürs Aquarium?”
Ich bin verdattert...Natürlich weiß ich, dass ich für Showtimes arbeite. Aber ich arbeite IM Aquarium. Bin also ein Teil.
Ich sehe ihn an und antworte:
“Wenn ich etwas wirklich nicht mag, dann sind es rhetorische Fragen.”
“Und wenn ich etwas wirklich nicht mag, so ist es deine Einstellung.”
(“When I really dont like something, than it is your Attitude”)
Wow, denke ich als der graue Herr, nachdem er den letzten Satz losgeworden ist, wieder hinausstürmt. Nichts weiter... Nur ... WOW...
Jay und ich gehen gemeinsam. Die Fahrgemeinschaften sind voll, aber wir erwischen einen Bus und als wir im Bus sitzen treffen wir gemeinsam die Entscheidung, dass wir morgen nicht kommen.
“Ich kann für so ein Arschloch nicht arbeiten.”, sage ich.
“Man weiss nicht...”, sagt Jay “Vielleicht wurde er nicht genug lieb gehabt von seiner Mutter... was weiss ich...”
Es ist schwer für mich es tatsächlich durchzuziehen. Tatsächlich nicht hinzugehen. Tatsächlich nicht verlässllich zu sein... Und doch...
Dem grauen Herren bin ich nichts schuldig...
Soll er doch mit eigenen Augen sehen, wie die Vancouver Menschen sind...
Noch müssen sie sich den grauen Herren nicht unterwerfen...
Noch ist die Finanzkrise nicht da...
Noch gibt es Jobs wie Sand am Meer ...
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