Es war regnerisch, als ich in Vancouver landete. Oder – besser gesagt - als der schweizerische Pilot landete und Katharina und Thorsten, die aus Hamburg kommen, einen Camper für dreieinhalb Wochen gemietet haben, erst Ende zwanzig sind, jedoch den typischen Habitus von einer langjährigen Beziehung an den Tag legten („Wir hatten schon vor fünf Jahren Kanada ins Auge gefasst!“) und die die Nationalparks Kanadas durchforsten wollen, klatschten. Dann erröteten sie und Katharina flüsterte mir zu: „Macht man das nicht so?“.
Die langen Gänge durch den dunkelgrün eingerichteten Flughafen erschreckten mich nicht, doch der bullig aussehende asiatisch stämmige Immigration Officer ließ mich nicht nur verwundert sondern auch ein wenig schreckhaft in die nahegelegende Zukunft blicken.
Für ihn Routine, für mich eine Tortur. Nach zehn Stunden Flug und den letzten drei Tagen mit jeder Nacht nur etwa drei Stunden Schlaf, versuchte ich trotz allem einen einigermaßen guten Eindruck zu machen.
„We will let you stay in Canada.“, sagte er und stempelte irgendwas in meinen Pass.
„Wie nett von ihnen.“, wollte ich sagen und fand das gönnerhafte Gehabe, dieses kleinen Kampfbullenterriers nicht nur dämlich, sondern auch verletzend, sagte also gar nichts und begab mich auf den Weg zu meinem Gepäck, dass dann auch nach bangen Sekunden, Minuten das Laufband herunterkam und in meine Richtung getrieben wurde.
Canada kann glücklich sein, dass es mich für ein Jahr bekommt, dachte ich und schon da begann sich meine anscheinend europäisch vorbelastete stolzgeschwellte Brust zu regen.
Der Stolz hörte aber sofort auf, als ich vor dem Vancouveraner Flughafen stand und erstmal ein paar Kippen rauchte. Deutsch war die Sprache, die ich hörte. Deutsch waren die Menschen und ich sonderte mich ein klein wenig ab, setzte mich auf meinen Koffer neben dem Aschenbecher und genoss den Moment.
Nach einer halben Stunde stieg ich in ein Taxi, bzw. ich stieg nicht in ein Taxi, sondern ein Inder stieg aus einem Taxi. Mit einem Turban und mit einem feinen Anzug und feinen Handbewegungen eskortierte er meinen Rollkoffer über eine kleine Rampe in den Kofferraum und eskortierte dann mich auf den vorderen Sitz.
Der Zielort war schnell ausgemacht, doch das eigentliche Gespräch wandte sich schnell vom oberflächlichen ab und er erklärte mir die Vorzüge Canadas und die Schwierigkeiten von dem Leben in einer anderen Welt. Sinngemäß, jedoch viel schöner ausgedrückt sagte er:
.
„Wenn du hier einen Job hast, dann kannst du gut leben. Du arbeitest, kommst von der Arbeit, schaust fernsehen und gehst wieder zur Arbeit. Vielleicht triffst du auch mal Freunde oder fährst raus aufs Land. Das ist ein schönes Leben.
Du musst allerdings die Vergangenheit vergessen. In der ersten Woche ist es am schlimmsten. Aber nach ein paar Wochen möchtest du hier nicht mehr weg. Es ist ein gutes Land. Am Anfang schreibst du noch Briefe nach Hause. Am Anfang vermisst du alles schrecklich. Aber dann werden die Briefe weniger. Die Familie und die Freunde rücken in den Hintergrund.
Und du wirst wirklich frei. Löse Dich von den alten Dingen und sei offen für Canada. Das ist ein gutes Land.
Wenn Du dann hierbleiben willst, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste und beste ist im Immigration Office aufzutauchen. Nicht per Telefon, obwohl sie Dir da auch helfen. Sondern persönlich auftauchen.
Die zweitbeste Möglichkeit ist die Heirat.“
Da stockte ich. Also- mein Herz stockte für einen Augenblick und ich wusste nicht wirklich, was ich auf diesen Monolog hätte sagen können. Also schwieg ich. Zumindestens eine Zeitlang, bevor ich die Heirat absolut ausschloss.
Am Haus angekommen, wollte ich nicht an der Hintertür klopfen, da ich das (weil gut erzogen) prinzipiell ablehne, woraufhin mir der Taxifahrer einen Vortrag darüber hielt, dass ich, wenn ich weiterhin so schüchtern sei, es nicht allzuweit bringen würde und was ihn anscheinend dazu brachte, mir seine Telefonnummer aufzuschreiben.
„Wenn du irgendwelche Probleme hast, dann ruf an.“
Kaum eine Stunde in Vancouver hatte ich also bereits die Telefonnummer von einem Mr. Bassi und die Gewissheit, dass da irgendwo in der Stadt ein Inder ist, der mir einen willigen Heiratskanditaten vermitteln könnte. So erkläre ich mir das.
Meine Vermieterin kam justamente um die Ecke und zeigte mir mein Zimmer, dass klein, aber sauber war und die Küche, die groß aber unglaublich unsauber war und ist. Das Badezimmer, was unglaublich klein und unsauber war und ist.
Ausserdem begann sie zu monologisieren und zu monologisieren und während sie ein Abendmahl für ihren Gatten anrichtete (wozu sie mich nicht einlud), gab sie mir tausend Informationen über Vancouver und die Region und überhaupt.
Mittlerweile 24 Stunden auf den Beinen und von allem restlos überfordert, nickte ich die meiste Zeit und war froh, als die beiden in die oberen Räume verschwanden.
Was sie mir bislang verschwiegen hatten, war:
Sie wohnten auch in dieser Wohnung. Was nichts anderes bedeutet, als zu fünft ein kleines dreckiges Badezimmer zu teilen und zu fünft eine Wohnung zu teilen.
Was sie mir bislang verschwiegen hatten, war:
Am nächsten Tag würde eine phillipinische Familie in den ersten Stock ziehen, was ein lautes Getrampel zur Folge hätte.
Irgendwann waren die Vermieter weg und Ambellina da.
Die unglaublich dünne Schwedin mit rotgefärbtem Haar und einem eintätowiertem Pikzeichen auf ihrer linken Schläfe, die sich irgendetwas kochte, von dem sie nicht wusste, was es war und was ich als Kouskous definierte. Diesen kochte sie halbgar und goss sich eine Menge Ketchup darüber.
Doch als sie sagte: „Möchtest du was?“ und mir die Hälfte von ihrem ekelhaften Essen anbot, konnte ich (aufgrund von meinem grummelndem Magen) nichts weiter sage als:
„Ja. Danke.“ und es langsam, aber zäh ass.
Der erste Tag war vorbei. Das ankommen war beendet. Ich war jetzt in Vancouver.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen