Es ist des Nächtens und wir sitzen draussen im Garten.
Langsam kühlt es sich ab. Das gute an Städten die am Meer liegen ist wohl, dass es am Abend kühl wird. Ich stelle mir Frankfurt vor, wie es immer noch schwitzt und vor sich hin dünstet. Hier kann man stattdessen nach einem 35 Grad heissen Sommertag atmen und essen und...
Ambellina isst (mir kommt es vor seit Wochen- dabei ist es erst eine Woche) kommentarlos und ganz allein an dem riesengrossen Karottenkuchen der letzte Woche zu Coreys Geburtstagsbarbequue erstanden wurde und Jeremy erzählt einmal mehr wie komplex und unverstanden er sich empfindet.
Dass nur er allein diese Meinung von sich hat und Ambellina und mir denkbar auf die Nerven fällt, ist nicht weiter erwähnenswert. Zu allen Dingen weiss er etwas zu sagen und hält Diskussionen die gerade einmal die Oberfläche angekratzt haben für tiefsinnige Gespräche.
(„Letztens haben wir uns sehr gut über Nationalsozialismus unterhalten.“ bedeutet, dass ER weiss, dass es so jemanden bösen wie Hitler gegeben hat und ausserdem wieviele Menschen in Konzentrationslagern umgekommen sind. Nicht mehr. Und Diskussion bedeutet, dass ER einem erklärt hat, was einen entweder nicht interessiert oder was man schon wusste)
Egal.
Wir sitzen also und Jeremy erzählt eine seiner im Fernsehen gesehenen und für sein Leben als tauglich befundene Geschichte, dass er von der Mutter eines Schulfreundes im zarten Alter von 15 verführt wurde.
Ambellina rollt mit den Augen und stopft weiter Kuchen in sich rein und ich öffne mein zweites Kokanee Bier, zünde mir eine Zigarette an und geniesse die Luft. Ich höre gar nicht weiter zu... Geniesse die Stille und Ruhe – man muss nur das seichte Geplätscher von Jeremys Stimme umdeuten und zu einem seichten Geplätscher eines Gebirgsbaches erklären.
„Can I crash your Party?“, kommt Jocelyns Stimme aus dem Hintergrund und nun sind (ausser Yvette) alle Hausbewohner versammelt.
„Klar.“, sagen wir mit einem Seufzer der Erleichterung.
Wenn ich gewusst hätte, dass daraufhin ein Monolog über die Ehe und den Zustand von Ehen und das Sexualleben innerhalb von Ehen folgen würde, hätte ich wohl nicht so freiherzig „Klar.“ gerufen.
„Es ist nämlich so...“, spricht die Eheberaterin, die den ganzen Tag Klienten hatte und lehnt sich mit Rotwein und Zigarillo in ihrem Plastiksommersessel zurück. „Wenn ein Kind geboren wird, dann wandern alle Hormone der Mutter zu dem Kind. Zu nichts anderem. Zu dem Kind. Der Vater ist aussen vor und die Mutter hat nur noch ihr Kind im Sinn. Wenn ihr zum Beispiel in eine Schwimmhalle geht, dann seht ihr, dass die Mutter immer einen Blick auf ihre Kinder hat, während der Vater mal mit nem anderen Vater redet oder mal kurz rausgeht eine raucht. Dann wiederkommt und nen kurzen Blick aufs Kind wirft.“
Ich überlege, was das mit uns dreien zu tun hat. Keiner von uns ist schwanger oder hat ein Kind. Ambellina ist sogar erst 19 und Jeremy 22. Aber es hat keinen Sinn sie zu unterbrechen, denn Jocelyn muss einfach (ich glaube sie muss einfach) darüber reden und fährt fort.
„Wenn also alle Hormone der Mutter auf das Kind gerichtet sind. Tja. Was ist dann mit Daddys Sexualleben?“
Sie guckt uns drei fragend an. Jeremy schaut gebannt auf Jocelyn. Ambellina schaut gebannt auf ihren Kuchen und ich rolle innerlich mit den Augen und versuche gleichzeitig mich in einen mitte dreissig jährigen Mann, der langsam Fett ansetzt und gerade ein Baby bekommen hat hineinzuversetzen. Was mir mißlingt.
„Es ist so...“ Sie räuspert sich, schaut auf den Boden, schwingt ihr wallendes Haar nach hinten. „Daddys Sexleben ist immer noch vorhanden. Aber Mommys Sexleben ist ausgeblendet. Ist auf das Kind gerichtet. Und... das ist ... hmmm... unfair. Das muss man sich klarmachen. Wenn er sie also betrügt. Dann ist das nicht weiter verwunderswert. Zwei Jahre – dann wird Mommy wieder normal.“
„Aha.“, sage ich.
Und sie erklärt, dass man in einer Ehe darüber reden muss und dass man vielleicht die Vereinbarung treffen müsste, dass der Mann fremdgehen darf und was weiss ich auch immer. Ich gleiche ihren Monolog mit meinen männlichen Freunden die Kinder haben ab. Sehe sie Windeln wechseln und sich direkt nach der Geburt in ihre Kinder verlieben. Sehe sie strahlen und dämlich werden, sobald die Rede von dem kleinen Scheisserchen ist. Sehe sie die Kinder baden und betüddeln und Jocelyn sagt:
„Die Daddys haben am Anfang nichts mit dem Kind zu tun. Es ist wie ein Fremdkörper und nimmt ihnen ihre Frau weg. Sie bemerken die Kinder erst, wenn sie etwa zwei Jahre sind und „Daddy“ sagen können.“
Ich sage nichts. Aber dass muss ich auch nicht, denn Jeremy hat was zu sagen:
„Das werde ich mir merken. Danke Jocelyn. Das werde ich mir merken. Ich dachte nicht, dass das so ist. Ich dachte, es wäre anders. Man muss ich also darauf vorbereiten, wenn man ein Kind bekommt, dass es nicht einfach wird. Danke für das Gespräch.“, sprach er und geht endlich schlafen. Etwas, worauf ich schon lange gewartet habe.
„Er ist so ein süßer.“, sagt Jocelyn, nickt, holt sich noch einen Wein und fängt mit einem neuen Thema an.
„Roundness und Squareness“
und beginnt zu erklären, dass es runde Menschen gibt und quadratische Menschen. Quadratische Menschen packen alles in kleine Schächtelchen, brauchen einen Plan und sind nicht so offen, wie die runden Menschen. Können nicht so lieben wie runde Menschen. Sind nicht so frei wie runde Menschen.
„Ich bin ein runder Mensch. Und die quadratischen Menschen werfen mir immer vor, dass man nicht so rund sein kann, wie ich bin.“
Ambellina bekommt große Augen. Sie hat ihr Kuchenstück aufgegessen und kann sich nun auf den folgenden Monolog (der sowieso mehr mit ihr zu tun hat) konzenrieren.
„Du bist ein runder Mensch.“, sagt Jocelyn und schaut Ambellina an. Ambellina nickt.
„Du bist nicht so ein runder Mensch.“, sagt Jocelyn zu mir und ich nicke ebenfalls. Finde das aber nicht weiter schlimm. Runde Menschen gehen mir meistens auf den Keks, weil sie – da sie so damit beschäftigt sind rund durch die Gegend zu rollen – nicht so viel zu sagen haben. Halte mich selbst für arrogant und versuche mit dem Argument:
„Man muss doch erstmal ein Vorurteil oder eine von der Gesellschaft aufgezwungene Meinung hinterfragen und dann kann man sie aufdröseln und DANN kann man sagen: Das Vorurteil habe ich nicht mehr länger.“
„Nein. Ich bin rund, weil ich rund sein will.“
Sie schenkt sich noch einen Wein ein und monologisiert über Probleme die sie hat mit den quadratischen Menschen, ist verwundert darüber, dass ich ganz glücklich zu sein scheine damit eben nicht RUND zu sein und gar nicht erstrebe RUND zu sein. Das ist wohl etwas, was sie nicht fassen kann.
„Greifen wir hier vielleicht zu sehr die quadratischen Menschen an?“, fragt sie Ambellina.
„Ja.“, sagt Ambellina und ich denke „Nein.“
Rund ist Rund. Quadratisch ist Quadratisch. Und wenn ich leise anfrage, ob man nicht in jeweiligen Momenten jeweils Rund oder Quadratisch sein kann, dann wird mir ein müder Blick zugeworfen.
Jocelyn trinkt noch ein wenig Wein und wenn sie jetzt etwas sagt, dann hat ihr Körper nicht mehr die Fähigkeit den Kopf anzuheben. Sie spricht also quasi zu dem Boden hin...
Vielleicht bin ich ja einfach zu quadratisch, um das schätzen zu können. Um Allgemeinweisheiten auf mich anzuwenden. Um ...Tja... Rund zu werden... Rund werden zu wollen ...
Vielleicht bin ich auch einfach zu ... deutsch?
Jocelyn geht schlafen, Ambellina holt sich noch ein Stück Kuchen und ich schlage innerlich drei Kreuze...und bin zufrieden mit meinem innerlichen Quadrat.
1 Kommentar:
*lach* Du bist eindeutig quadratisch. Aber Du weisst ja: Quadratisch, praktisch, gut! ;-)
Langsam beginne ich mich zu wundern, ob ich auch quadratisch sein könnte.
Ich sehe schon, eure nächtlichen Gespräche sind eindeutig zu hoch und zu tiefsinnig zugleich für mich... Aber ich glaube, dass mir das recht egal ist... und ich einfach froh bin, mit lauter oberflächlichen Gesprächen im Alltag über die Runden zu kommen. Tiefsinnigkeit ist anstrengend. Ich hab das vor einigen Monaten weggeschlossen. Oberflächlich zu sein ist ein Stück Glück, welches ich mir einfach gönnen möchte.
Boah, macht das Spass, anderer Leute Blogs als Plattform für eigene Statements zu missbrauchen!! :-P
Jedenfalls hast Du mein Mitgefühl, was den Krampf angeht, Gespräche führen zu müssen in Momenten, in denen Du lieber Schweigen um Dich hättest.
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