Eigentlich hätte ich schon längst aufhören sollen im Aquarium zu arbeiten. Diesen dämlichen Job zu tun. Diesen dämlichen amerikanischen Job, der in nicht viel mehr besteht als Menschen dazu zu überreden zunächst ein Foto von sich zu machen und danach es ihnen zu überteuerten Preisen zu verkaufen.
Eigentlich ...
Aber das was mich hält ist doch vielmehr die Pause.
Habe ich schon als Schülerin für die Pause gelebt, als Studentin für die Zigarette zwischen den Seminaren, so ist es auch hier die Pause - oder wie man es hier nennt: "The Break"
"I am breaking now!" kann nicht wörtlich übersetzt werden. Und doch kommt es, wenn man es denn einmal wagt, der Wahrheit ziemlich nahe, denn zumeist stehe ich kurz vor dem Erbrechen, wenn ich mich nach draussen - vor die Tore des Aquariums - bewege.
Doch dort sind Menschen, die als waschechte Kanadier im Aquarium angestellt sind und mir erklären können wie der Hase läuft. Nicht nur Aquariumsgeschichten, obwohl die naturgemäss immer wieder fantastisch sind und die, wenn sie im trockenen Tonfall der Köchin des "Upstreamcafés" vorgetragen werden, immer wieder ein lautes "Echt?!" aus mir herauslocken...
"Und da war doch einmal ein Empfang vor dem Haibassin. Die hielten das für ne gute Idee. Lauter reiche Leute. Und diese ganzen snobby Leute waren da. Was passierte? Nun ja. Der eine Hai. Also der weibliche Hai war schwanger und gebar das Kind. Also das Haifischkind. Und der Vater kam heran und hat das Kind aufgefressen, als es noch halb in der Mutter steckte. Naja. Keine gute Geschichte. Lauter Blut und naja. Eigentlich sind alle Haie - bis auf den einen gestorben."
"Echt? Und was ist mit dem Oktopuss? Ist der tatsächlich weggelaufen?"
"Weggelaufen?" Die Köchin schaut mich verwundert an. "Das ist es was wir den Kindern erzählen. Das war so... " und sie setzt - ich weiss es instinktiv - wieder zu einer dieser ekelhaften Geschichten an.
"Der Käfig vom Oktopuss wurde gereinigt. Also wurde natürlich das ganze Wasser abgelassen und das doofe Tier hat es irgendwie geschafft hochzuklettern. Also die Käfigwand hinauf. Tja. Und dann ist das Tier abgestürzt. Natürlich..." dramatische Pause ihrerseits. "War nicht mehr zu retten."
"Und damals als der Delfin starb..."
Die kurze und von meiner Seite durchaus angebrachte Frage: "Sind eigentlich alle deine Geschichten über den Tod?" wird von ihr ernsthaft beantwortet:
"Naja. Die meisten Tiere hier sind alt."
Aber nicht nur Aquariumsgeschichten - auch Alltagsgeschichten machen die Pause die einzige gute halbe Stunde der achtstundenschicht.
Pete - ein Original, der mich immer an unseren alten Hilfsmann erinnert - lebt zur Zeit im Stanley Park. Seine Gründe sind ziemlich einleuchtend:
"Ich habe zwar ein Zimmer für 400 Dollar. Aber da wimmelt es vor Kakerlaken und Ratten. Und mitten in der Nacht jammern die ganzen Junkies herum." Und er macht ihre Stimmen nach: "Hast du mein Zeug?" "Nein habe ich nicht." "Doch hast du."
Und bei dem ganzen Dreck denke ich mir immer. Ich teile meinen Schlaf lieber mit Eichhörnchen und mit Waschbären als mit Junkies.
Pete ist auch derjenige, der mit Karten in der Tasche seinen neuesten Kartentrick zeigt. Der einem eine Denksportaufgabe stellt und der jeden Tag mit lächelndem Gesicht verkündet wieviele Tage es noch bis zu seiner Pension sind.
"Only five days until I get my Pensioncheque!"
Petes Bruder hat eine Yacht.
Pete hat jetzt mit 75 gelernt, dass die Frauen ihn nur ausnutzen und er will ihnen in Zukunft kein Bier mehr ausgeben.
Pete mach mit Flaschensammlerei ungefähr 15 Dollar am Tag - und das reicht - so sagt er:
"Zum Essen und für ein, zwei Bierchen."
In der Pause erklärt mir ein sechzehnjähriger Schüler, dass er eigentlich gar nicht wegziehen will. Das macht ihm alles Angst und Prince George ist weit weg.
und eine 60 jährige, die freiwillig im Aquarium arbeitet, dass man nicht in Alberta wohnen möchte: "Da ist alles nur ... WEISS. Da geht es nur ums Weisssein. Da sind nur Rednecks."
Da erklärt mir eine junge Mutter, dass sie es sich nicht leisten kann ihr Kind in eine Kindertagesstätte zu geben und eine durchgeknallte Mitzwanzigerin, dass sie mit einem Kollegen um hundert Dollar gewettet hat, dass sie es einen Tag ohne Fluchen und Kippen aushält.
In der Pause kommt eben jene durchgeknallte auf mich zu und sagt:
"Rate was passiert ist..."
"Was?"
"Ich habe es einen Tag geschafft ohne Kippen und Fluchen - und jetzt hat der Saftsack gekündigt."
Die Pause ...
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