a little starving in canada

Wenn man mir vor vier Monaten gesagt hätte:
“Anfang Oktober 2008 wohnst du abgebrannt in einer Basement Suite mit zwei Mitbewohnern, die zwar nett sind aber rein prinzipiell nichts mit dir gemeinsam haben und du hast keinerlei Geld auf der Bank. Sogar so wenig, dass du dir nicht einmal Brot kaufen kannst und du wirst dich durch den Tag mit genetisch modulierten Äpfeln retten, bis du abends endlich deine Pasta essen kannst...”
hätte ich gelacht und soetwas ignorantes wie:
“Gute Erfahrung!”, gesagt.
Verstanden hätte ich es wohl nicht.

Natürlich bin ich einmal mehr dramatischer, als es eigentlich ist.
Genug zu essen ist vorhanden in der Basementsuite.
Ich müsste nur fragen.
Und wenn mein Stolz noch so groß ist, daß ich lieber ein klein wenig hungere, als daß ich um Hilfe und Essen bitte, kann es mir noch nicht so schlecht gehen.
Es ist nur ein klein wenig “starving in Canada”

5 Tage mit Früchten, abends Pasta, frierend, weil ich mir keinen Wintermantel leisten kann und ohne Monatsticket, weswegen ich mir jeden Tag fünf Dollar (anscheinend eine magische Zahl) für den Weg zur Arbeit abknapsen muss und wieder einmal auf warmes Essen verzichte. Seltsam, wenn man einen Apfel aus Hunger und nicht aus Pflichtgefühl der Gesundheit gegenüber verspeist.

Mir dann die Vorwürfe meiner Mitbewohnerin anzuhören:
“Du isst zuwenig!”
und dann tatsächlich in Ansätzen die Homeless People verstehen zu können.
30 Dollar für eine Woche.
In sechs Tagen brauche ich allein 30 Dollar für den Bus. Kein Geld für Essen.

Betsys Auto fährt vor.
Am Tag vorher hatte ich den Stolz überwunden, die Angst sie auszunutzen oder sie zu stören, die Angst nicht ausreichend genug englisch am Telefon sprechen zu können und sie mit bangem Herzen gefragt:
“Ist ein Brief für mich angekommen?”
Nach einer bangen Millisekunde kommt die erlösende Antwort: “Ja.”
und mir wird gleich leichter im Herzen.

Der Brief ist der Scheck der Translation Firma. siebzig Dollar, die mich retten.
Ich überlege, dass ich zwar heute nichts zu essen haben werde am für den Abend noch eine Dose Cambells Suppe habe und frage:
“Wann kommst du denn ins Triumph Haus? Ansonsten komme ich nach Coquitlam.”
Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich die vier dollar ffür den Bus nach Coquitlam zusammenkratzen soll, aber irgendwie wird das schon gehen.

“Am Montag abend.”, sagt sie und mir fallen tausend Steine vom Herzen.
Sie kommt morgen, sie hat mein potentielles Essen und ich muß meinen Stolz nicht in die Tasche packen.

Und nun fährt sie vor und innerlich (und auch äusserlich – ich kann nicht anders) bricht eine große Freude in mir aus.
Betsy wird einmal mehr zu meinem rettenden Engel und auch wenn mein manches Mal überbordender Sinn für Dramatik ab und an überhand nimmt und ich genau weiß, daß ich meine Scham und meinen Stolz schon noch überwunden hätte, denke ich nur eins:
“Essen!”

Ich kann mir Brot kaufen und Milch und Käse und ...
mehr Äpfel )unsäglich, dass die Äpfel aus dem Garten nicht genmanipuliert sind, ich also allergisch reagiere... aber die Möglichkeit von Apfelmus besteht durchaus...)für schlechte Zeiten.
Ich habe genug Geld für den Bus, genügend Geld für eine Flasche Wein.

Und genau das tue ich auch. Mit jubelndem Herzen auf zum Liquour Store und meine erste
Debit Tranaktion besteht darin mir eine 12 Dollar Flasche Merlot zu kaufen und ein Glas in grosser Feierlaune zu lehren.
Genug Geld zum Essen... genug Geld...

Und es war nur
“little starving in Canada”



Zwei Tage später bei der Arbeit.

Carla sitzt mit mir draussen vor dem Aquarium.
“Oh. Du hast dir Lunch mitgebracht?”, fragt sie und mustert meine selbstgeschmierten Brotscheiben.
“Ja. Du nicht?”
“Ich dachte, ich kauf mir heutee Pommes.”
Ich krame in meiner Tasche und finde ein paar Kekse, die ich ihr reiche.
“Hier. Die mag ich nicht so sehr.”
Carla bekommt strahlende Augen.
“Dankeschön...”
Sie reisst die Packung auf und stopft sich ein paar Kekse in den Mund, dann sagt sie zögernd.
“Vielleicht ist das einfach mein Lunch.” und lacht mich mit traurigen Augen an.
“Ich glaube, ich habe noch einen Apfel.”, sage ich und krame wieder in meiner Tasche herum.
Sie lächelt nun wirklich. Gross und Breit.
“Dankeschön! Nun brauche ich wirklich kein Mittag. Ein Apfel und Kekse. Perfekt!”
...
.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Gott sei dank kam der scheck noch - du wärst ja sonst verhungert....

jo