Nun ist er also da. Der Tag der Wahrheit. Der Tag einen Wal zu treffen. Der Tag auf den ich gespart hae und schließlich auch der Tag weswegen ich das Rauchen auf das absolute Mindestmaß eingeschränkt habe.
Ich sitze mit meinem Blueberry Muffin am Canada Place und warte auf den Shuttle Bus nach Richmond.
Es ist ein wunderschöner Tag. Blauer Himmel, Sonnenstrahlen und die Aussicht danach nicht zu einer übellaunigen Ivette und einem respektlosen und höchstwahrscheinlich betrunkenen Jeremy zurückkehren zu müssen, sondern stattdessen nach Coquitlam zu Betsy fahren zu können.
Meine Insel, die ich dieses Mal, obschon ich es nicht wirklich will und niemandem zur Last oder auf die Nerven fallen will, in Anspruch nehmen muss.
Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich nämlich ins Triumph Haus zurückkehren...
voll von neuen Eindrücken und – wie ich denke – einem kleinen Dreh- und Angelpunkt in Kanada und dann ...
Ivette liegt mit schlechter Laune auf der Couch, jammert darüber was für einen anstrengenden Tag sie gehabt hat (zwei oder drei Telefonate) und rülpst lautstark vor sich hin.
Ich sehe Jeremy auf der anderen Couch liegen mit seiner aufgeblasenen Australierart, die mich mittlerweile nicht einmal zu einem leisen Widerspruch reizt.
Wenn er wieder einmal bis sechs getrunken hat, Sex mit einer richtigen Frauu (“Ey. I had sex with a married woman. Okay. She was only 20. But – MAN – married!”) hatte und dann sein gesamtes Trinkgel beim Pokern verspielt hat, denke ich nunmehr:
“Schön, dass Du hier – bevor du 35, kahl und bierbäuchig bist – die Zeit und Jugend deines lebens hast und nun ... “Halt die Klappe!”
Und ich sehne mich – zu höflich, zu arrogant, zu sehr den Hausfrieden liebend, in mein kleines Zimmer zurückkommen. Ganz allein. Mit dem Wal im Herzen.
Deswegen die Insel. Deswegen Betsy.
Aber nun sitze ich am Canada Place und alles wird gut. Ich werde meinen Wal sehen, werde daas sehen, weswegen ich hier bin und schließlich und endlich in Kanada ankommen.
Aus Gewohnheit setze ich mich in die letzte Reihe des Busses, lese aufmerksam die Einverständniserklärung, die ich aus versicherungstechnischen Gründen unterschreiben muß und die Worte meiner Großmutter:
“Beinm Whalewatching sind schon Menschen zu Tode gekommen...”, klingen mir umso deutlicher in den Ohren, als ich lese:
“Im Falle des Todes sind WIR NICHT haftbar zu machen.”
Der Busfahrer scherzt, dass bisher nur eine einzige Frau den Schrieb nicht unterschrieb, da es ihr schlichtweg zu gefährlich war. Aber nur die Eine, die dann zurück nach Downtown gefahren werden wollte, wo sie das Geld, was sonst das Whalewatching gekostet hätte auf den Kopf gehauen hat.
Wir verlassen Vancouver, erreichen Richmond (wo ich denke, ob “Anne in Richmond” irgendwas mit dieser malerischen Stadt zu tun hat?”) und ich freue mich schon auf die Butterfahrrt.
Zunächst zwänge ich mich auch hier auf die letzte Bank, doch schon bald setze ich mich um, suche mir einen neuen Platz, der auch unverdeckt ist und schaue mir die Landschaft an.
Das hier ist doch das Gewässer, was ich aus dem Bus – als ich aus Whistler kam gesehen und ins Herz geschlossen habe.
“The Straight of Georgia”
und ich befinde mich mitten drinnen auf einem vor sich hin schippernden Boot mit jeder Menge anderer Touristen.
Kalt ist es.
Zugig ist es.
Und meine gute alte Pudelmütze leistet ihre unverbrüchlichen Dienste.
Es gibt einen Kapitän, der bereits seit 12 Jahren für diese Agenntur arbeitet.
Ein richtiger Seebär, mit strahlenden blauen Augen und dem Witz der Menschen, die ihr Leben auf dem Wasser zubringen um die Mundwinkel.
Er erzählt mir einige Schwänke aus seinem Leben, als ich auf dem einzigen Platz an Bord auf dem man rauchen darf, eben jenes tue.
“Aha. Man darf hier rauchen?”, frage ich ihn und erklimme die kleinen Stufen zum Führerhäuschen (Pardon Brücke).
Wenn er nicht ein kanadischer, sondern ein norddeutscher Seebär gewesen wäre, würde er
“Yupp.”, sagen und auch in kanaadischen Gewässern ist es so, dass er nur einmal aufmunternd nickt. Ich bin verblüfft und in eben diesem Moment (nicht hinhören Eltern) dankbar dafür, dass ich rauche.
“Die Wale müssen hier irgendwo sein.”, sagt er und hält sein Fernglas vor die Augen.
“Hier sind die Tide. Wo Tide sind sind Fische. Wo Fische sind, sind die Seehunde. Und wo die Seehunde sind, sind die Orkas. Einfach!”
Ich nicke und inhaliere (noch einmal weghören) und will einen Wal sehen.
Oder zwei.
Oder drei.
Sehe sie vor meinem geistigen Auge auftauchen, sehe sie majestätisch an mir vorrübergleiten. Sehe mich (um noch ein klein wenig dramatischer zu sein) einem Wal Aug in Aug gegenüberstehen, oder sitzen oder schwimmen.
Nach einer Stunde Sucherei werden Müsliriegel verteilt.
Nach zwei Stunden wird bei den Seelöwen gehalten.
Ab und an wird zum Mikrofon gegriffen und etwas über die Geografie, über Seeadler und Seehunde erzählt...s
und in der Zwischenzeit wird gefroren.
Neben der unglaublichen Natur, der Schönheit British Columbias und meiner unglaublichen Freude mich auf dem Wasser zu befinden ist die Kälte etwas, was von dem Wale gucken übrig bleiben wird.
Nach drei Stunden greift der Kapitän n9cht mehr zum Fernglas und auch die Begleiterin mit Stöpseln im Ohr schaut nicht mehr unruhig über das Gewässer, sondern widmet sich ihrem Kreuzworträtsel. (Alltag auf dem Kutter)
Ich realisiere schnell, dass wir umkehren und uns auf dem Heimweg nach Richmond befinden aber richtig offiziell wird es erst, als die Stöpselfrau die Eintrittskarten wieder hervorholt, sie alphabetisch sortiert und dann etwas auf die Rückseite stempelt.
Ungefähr tausenmal sagt sie:
”Sie können immer wiederkommen.” und meine dumpfe Vermutung, daß die 90prozentige Wahrscheinlichkeit einen Wal zu sehen eine schlichte Lüge ist, erhärtet sich, als sie hinzufügt.
”Wir haben Leute, die viermal kommen.”
Und nur ich bin es - vielleicht ist das ja auch typisch deutsch - die das Kleingedruckte liest und fragt:
”Hier steht 24 Stunden vorher kann man den nächsten Waltrip buchen. Erst dann weiss man, ob es mit sicherheit einen Platz auf dem Boot gibt.”
Sie guckt mich unsicher an. Mit einem Widerwillen und einer Abscheu, die ich nicht weitergehend beschreiben kann. Aber es ist nicht wirklich schön.
”Ja. Das ist so.”, sagt sie nur.
Natürlich gebe ich mich damit nicht zufrieden, sondern frage nochmal in dem Office nach.
”Das ist genauso, wie es draufsteht.”, sagt der nette Mann. ”Aber du wolltest doch sowieso eigentlich auf das Lightship, oder?”
Nach der ganzen Kälte bin ich mir nicht mehr so sicher. Ein ganz und gar unüberdachtes Boot scheint auf einmal doch eine Schnapsidee zu sein.
”Ja. Schon.”, sage ich zögernd.
”Am Donnerstag haben wir noch einen Platz frei.”, strahlt er mich an.
Und ich nicke. Wie der Seebär. Mit dem Gefhl: Komme was da möge...
Mit zittrigen Knien komme ich in Vancouver an, stapfe schnurstracks zu ”London Drugs”, um mich mit Meditionsin zu versorgen, denn ich merke, fühle, weiss, dass eine Grippe im Anmarsch ist.
Wie könnte es auch anders sein...
Als der Apotheker dann sagt:
”So etwas wie Meditonsin haben wir hier nicht in Kanada. Aber wir haben Echinazin... Meditonsin ist gross in Europa. Hier in Kanada ist es nicht so weit her mit den pflanzlichen Medikamenten.”, gerate ich in einen kurzen Verzweiflungsschub und bin froh, als ich dann im Westcoastexpress nach Coquitlam sitze.
Es gibt richtiges Essen. Es gibt ein richtiges Bett. Es gibt die Stille und Ruhe und es gibt Stille und Ruhe und Stille und Ruhe und einmal mehr denke ich, dass ich viel viel viel zu alt bin, um dieses ganze Kanadading so richtig genießen zu können...
Aber auf der Insel in Coquitlam und dem nächsten Tag nichts weiter als herumzuliegen und niemandem irgendetwas beweisen zu müssen - und auf niemandem Rücksicht zu nehmen und sich selbst nicht zurücknehmen zu müssen, sondern einfach ...
zu schlafen...und krank zu sein und zu husten und tee zu trinken und sich zu Hause zu fühlen...
Mein Wal...
Und als am Donnerstag früh das Telefon klingelt :
”Wir wollten nur sagen. Es regnet in STrömen. Und wir können nun wirklich nicht mit dem Lightship hinausfahren.”, bin ich fast dankbar und denke:
Das wars dann mit den Walen.
Und was bleibt sind Aurora und Qila und das unbenannte Belugababy im Vancouver Aquarium...
Nicht das schlechteste ... mag man denken.
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