Aquariumsweihnachtsfeier



Ich stand einmal mehr an einem Samstag in meinem Zweitjob als Souvenirfotografin vor der grünen Wand am Eingang des Aquariums - bei den Kassiererinnen und Kassierern - als diese von der Weihnachtsfeier anfingen.

“Kommst du auch?”, fragte April. Eine blondgefärbte und solariumgebräunte Mitzwanzigerin, die ausserdem über ein Lippenpiercing und ein Tatoo auf ihrem Unterarm verfügt...Und die nichts lieber möchte als im Aquarium mit den Reptilien zu arbeiten.
April... die ich mag.

“Meine Abteilung ist nicht eingeladen.”, antwortete ich. Und sprach die Wahrheit: “Showtimes ist kein Teil vom eigentlichen Aquarium. Showtimes hat einen Platz im Aquarium gemietet, um dort die Fotos zu machen und zu verkaufen.”
“Was?!”

Ungläubigkeit allerorten, den... wie gesagt... Die Leute im Aquarium mögen mich...
Und als ich dann am Sonntag wieder ins Aquarium kam, sagte April:
“Ich habe mit Viktoria geredet. Und du bist ihr Gast. Sie lädt dich ein. Du kommst also. Ich habe schon einen Gast. Aber das kriegen wir hin!”
“Dankeschön!”
Ich freue mich Veronikas Gast zu sein, obschon ich meinem Boss nichts davon erzähle.
Zunächst nicht.
Erst eine Woche später beichte ich ihm, dass ich zur Weihnachtsfeier eingeladen bin, was ihn zu einem seiner unendlich langen Monologen veranlasst.

“Die Kassierer denken sie seien was besseres. Die gucken auf uns herab. Die mögen uns nich. Und ich mag sie auch nicht. Die grüssen mich noch nicht einmal. Und ich habe ja auch nichts mit ihnen zu tun. Was soll ich mit denen? Ich sitze hier. Und die sitzen da.”
Und so weiter und so fort.
Ab und an werfe ich Sätze dazwischen, wie:
“Mich mögen sie.”
oder
“Ich mag sie.”
Aber das was ich zu sagen habe kommt nicht an.

Und nun ist der Tag also da.
Bin um vier uhr dreissig aufgestanden. Habe von sechs bis eins gearbeitet, mich ein wenig aufs Ohr gehauen. Meine einzige schwarze Hose und meine samtene Bluse in die Waschmaschine gehauen, mich ein wenig geschminkt und mache mit allein auf ...

zum “Croation Cultural Center” auf dem Commercial Drive.

Ein bisschen Herzklopfen ist dabei...
Ganz allein in ein riesengrosses Gebäude zu gehen, wo fünfhundert zumeist wildfremde Menschen ihre Weihnachtsfeier begehen...
Doch ich hätte gar kein Herzklopfen zu haben brauchen, denn Andrea und Riaz stehen vor der Tür und rauchen.
Ich geselle mich auf eine Zigarette zu ihnen und werde von Andrea mit hineingenommen. Die Chefin der Kassiererinnen und Kassierer.
Die unglaublich dünne Frau in einem schwarzen Abendkleid zeigt mir wo Viktoria und die anderen sitzen, dirigiert mich hinein und ist unglaublich nett...

“Hallo.”, sage ich zu den Rauchern, da es die einzigen sind, die ich kenne und wiesele mich durch die ganzen Tische in diesem riesengroßen Raum.
April, Viktoria, Richard, Jordan ...
alle alle sind sie da, sitzen an einem Tisch und rücken zusammen, um mir noch ein kleines Plätzchen zu verschaffen.
Es gibt Roastbeef und Hühnchen und Salat ...
Richtiges Essen.
Wie immer in Kanada bin ich dankbar für Essen und schlage mir den Teller voll.

Ich begebe mich schnurstracks zum Buffett, hole mir essen und trinke erstmal Wasser, da ich nur einen einzigen “Refreshmentvoucher” - also einen Getränkegutschein - habe und erst am Freitag ein Paycheque auf Einlösung wartet.

Begeistert schaue ich mich um.
Hunderte von Menschen.
Erstaunlicherweise kenne ich viele.
Begeistert schaue ich auf die kleine Bühne wo Marc steht und die anscheinend unvermeidbare Show abhält.

“Ich habe einen Brief bekommen. Von da oben.”, sagt er und grinst in die Menge. “Lieber marc. Wir möchten Dich darüber informieren, dass wir vertraglich festlegen, dass du dich dieses Mal nicht ausziehst. Falls Du Dich doch ausziehen solltest hat dieses eine sofortige Kündigung zur Folge.”
Er pausiert und wenn ich länger im Aqarium gearbeitet hätte, dann hätte ich jetzt geschrien: “Ausziehen.”, aber da ich nur ein Gast bin, halte ich die Klappe und grinse vor mich hin.
Ich flüstere Vikoria zu:
“Er ist gut.”
“Er ist ein richtiger Schauspieler.”, antwortet mir Viktoria.
“Ja. Das merkt man.”, sage ich. Und sie schaut mich an und sagt:
“Nein. Ich meine. Er ist ein richtiger Schauspieler.”

Ich vergesse immer wieder, dass andere Menschen, die nicht einen grossen Bruder im “Theaterbereich” haben, davon beeindruckt sind, wenn sie einen “richtigen Schauspieler” trreffen.
Ich dagegen denke an Ben und Tim, die das hier auch gewuppt hätten und ähnlich lustig – wenn nicht noch viel viel amüsanter gewesen wären... und JA! Die auch mit der unglaublich übergewichtigen Kassiererin aus dem Souvennirladen des Aquarium Summerwine oder ein Duett aus Grease geträllert hätten.

Denn... es ist Karaoke Zeit im Croation Cultural Center.
Zunächst werden die Senior Manager... Und zwar alle (und das sind anscheinend zehn Leute) auf die Bühne gebeten, um dort “jingle Bells” zu singen.
Sie stehen relativ unbeholfen dort oben. Wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen.
Sind die Menschen, die man auch an Karneval trifft und die in dem
“Heute lassen wir es mal krachen. Und zwar so sehr, wie wir es das ganze Jahr nicht tun.”
Modus sind.
Und die schunkeln, die Reime zu Jingle Bells vergessen und sich zum Deppen machen, weil sie sich zum Deppen machen müssen.

Wohl eher wie der Herr Stoiber beim politischen Aschermittwoch.

“Wir wissen, dass wir peinlich sind, aber das gehört dazu. Wenigstens sind wir alle gemeinsam peinlich!”

Nachdem das höchstgradig peinliche “offizielle” Karaokesingen vorbei ist, kommt die übergewichtige Kassiererin des Souvenirladens vom Aquarium in einem armfreien silbernen und enganliegenden Glitzerkleid auf die Bühne und singt...
Man hätte es sich nicht schöner ausdenken können:
“I will survive”
“First I was afraid. I was petrified.”

Gottseidank ist sie nicht schlecht.
Gottseidank blamiert sie sich nicht.
Mir kommt das alles sehr amerikanisch vor.
Und ich gehe mit Viktoria zur Bar um mir meinen Gin Tonic zu bestellen.
Dass dieser in einem winzigen Glas ausgeschenkt wird, ist peinlich für die Veranstaltung...
Aber ... nun denn...

Ich trinke meinen Gin, schaue mir Leute an, amüsiere mich herausragend und als Jordan und noch zwei andere von Admission “Like a Virgin” singen, verschwindet mein Lächeln für lange Zeit nicht von meinem Gesicht.
April erfindet einen zuckenden Tanz, den sie “Starfish” tauft und der darin besteht Arme und Beine gerade auszustrecken und der wie Aerobic aussieht... aber auch ein bisschen wie ein Seestern und den sie allen – vor allen Dingen dem Entertainer Chris vorführt. (Hello. My Name is Chris)
Richard tanzt mit seinem Oberboss, was besonders lustig ist, da Richard über überhaupt kein Rhytmusgefühl verfügt und als gebürtiger Chinese etwa zwei Meter kleiner ist als die Chefin.

Gegen elf ist es vorbei.
Der letzte Tanz wird gespielt.
Und wir werden mit:
“Und draussen schneit es Leute!” auf die Strasse geschickt.

Jordan wird eine Umsonst Taxifahrt vom Aquarium gesponsert.
Und die übrig gebliebenen gehen auf den Drive um noch einen Gin zu trinken.
Also – ich den Gin
Die anderen Wodka...

Gegen eins erwische ich die letzte Skytrain...
Eine spießige Weihnachtsfeier in Vancouver...

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Liebe Marianne! Ich wünsche Dir ein schönes Weihnachtsfest-denk dran,Du hast wenigstens Schnee!!!Hab Dich ganz ganz doll lieb und hoffe nächstes Jahr am 23. sind wir wieder alle in Ivendorf beisammen! Ich schick Dir eine große Umarmung! Deine Freundin Yvonne