Als ich am Morgen von dem dämlichen Gebimmel meines Handys aufgewacht bin, habe ich das allererste Mal realisiert, daß ich auf englisch träume.
Das wäre ja nicht weiter bemerkenswert, wenn ich nicht zusätzlich noch Traum und Realität miteinander verwechselt hätte und in der allerersten Minute des Wachseins meinen Eeepc darauf abcheckte, ob ich nicht tatsächlich eine Mail bekommen hätte, wo drinnen steht:
“Dress properly”
Zwei Vorstellungsgespräche an einem Tag.
Und das erste der beiden zu nachtschlafender Zeit.
Acht Uhr Dreissig am Dienstag morgen.
Ich stehe also gegen halb sieben auf, mache mir einen Kaffee und ziehe mich an. Achte darauf, dass ich gut angezogen bin und ziehe die unbequemen soliden Schuhe an, um einen guten Eindruck zu machen.
Telco.
Das ist mein erstes Ziel.
Ich nehme die Skytrain und schaffe es gerade am Broadway den Bus Richtung UBC zu bekommen. Der Busfahrer weiss nicht, ob er an der Haltestelle Yukon hält. Aber was kann man schon erwarten. Dafür sagt er immer wenn er anfährt:
“Hold on folks.”
Ich steige aus und weil ich noch keine Zigarette geraucht habe, stapfe ich schnurstracks entgegen der Fahrtrichtung, um mir welche zu kaufen.
Bin ein klein wenig aufgeregt. Nur ein klein wenig.
Aber ... immerhin.
Nach fünf Minuten Stapferei bemerke ich, dass das Zigarettensuchen auf später verschoben werden muss und stapfe die fünf Minuten wieder zurück.
An der Ecke zur Yukonstreet steht jedoch eine pummelige Mitzwanzigjährige, die sich gerade ne Zigarette anzündet.
“Kann ich dir ne Kippe abkaufen?”
“Hier hast du eine.”
“Wieviel Geld willste?”
“Du musst mir kein Geld geben. Willst du auch Feuer?”
Und so zündet sie mir ne Lucky Strike an und ich wandele glückseelig die Yukonstreet zum Telcogebäude hinunter.
Ein gutes Zeichen, wie ich denke.
Als ich dann im Telcogebäude bin, denke ich nicht mehr an Glück, denn mein Kaffee in meinem Aquariumsthermosmitnehmbecher, der sich in der Seitentasche meines Rucksackes befindet, ist ausgelaufen und so hinterlässt mein Rucksack eine Lache in der Lobby des reinlichen Hochhausgebäudes.
Nicole, die Rezeptionistin ist nicht erfreut, sorgt aber für Aufsaugpapier.
Ich fülle den Bewerbungsbogen aus.
Meine Anschrift, meine Referenzen, meine Sin nummer...
Was auch immer.
Mein inneres Gefühl sagt mir:
“Renn! Renn um dein Leben!”
Und doch bleibe ich stoisch sitzen.
Ich will Geld verdienen. Bin nicht hier, um mich zu verwirklichen. Bin nicht hier, um Spass zu haben. Und wenn mir dieses Unternehmen meine Kanadarundreise ermöglicht...
Bitte.
Gerne.
Danke.
Trotzdem bleibt der üble Nachgeschmack und natürlich der Kaffee auf dem Fliesenboden...
“Jan ist gleich bei dir.”, sagt Nicole und nach gefühlten Stunden später taucht Jan dann auch auf.
Sie ist nicht aufgetakelt, hat kein Räckchen an und schnauft die paar Treppen zum ersten Stock gehörig.
Als wir dann ins Büro kommen und ich sage:
“Das ist ja wie die Börse.”
bin ich erleichtert.
Hier ist es nicht Clean und gepflegt. Hier gibt es nen Billiardtisch und Fernsehen und ne Küche und viele junge Leute.
“Ja.”, sagt mein Herz... “Ja.”
Das bräuchte ich.
Viele neue Leute...
Novemberdepression und Heimweh überwinden.
Neuer Job, neues Glück.
Und einen durchhängermonat kann man nach nem halben Jahr auch mal haben.
Das war halt der November und jetzt ist Dezember...
Und auch wenn die hier keine Adventskränze haben... ich habe nen Advenntskaleedr aus Deutschland....
Nun...
Bei dem eigentlichen Vorstellungsgespräch komme ich kaum zu Wort.
Sie monologisiert und rechtfertigt ihre Arbeit.
“Wir sind die Qualitätskontrolle von den Verkäufern. Für ganz unterschiedliche Lottofirmen.”
“Aha.”
Sie sagt nicht, daß sie in einem Callcenter arbeitet und natürlich in erster Linie verkaufen vekaufen und verkaufen muss. Ich denke mir meinen Teil.
“Die arbeiten auf Kommission. Wir aber nicht. Wir sind neutral. Wenn die Agenten Lotterietickets verkauft haben, die über einen gewissen Betrag gehen. Also zweihundert Dollar. Dann rufen wir zurück und fragen nach. Ob die auch wirklich Lottolose für zweihundert Dollar kaufen wollten.”
“Aha.”
“Und natürlich alte Leute. Wir scherzen nicht mit alten Leuten. Wir ziehen alte Leute nicht über den Tisch. Das machen wir nicht. Da habe ich – oder wir – da haben wir eine ganz klare Ethik.
“Aha.”
Und man sieht ihr an, dass man sie nicht über den Tisch ziehen kann. Und man sieht ihr an, dass sie einiges erlebt hat und dass man es besser unterlassen sollte sie über den Tisch ziehen zu wollen.
Ich mag sie auf Anhieb.
Sie erklärt mir noch diverse Details und Einzelheiten, die ich eigentlich gar nicht wissen müsste, die sie mir aber dennoch erzählt und der Kaffeeunfall am früheren Morgen scheint vergessen.
Sie bringt mich aus ihrem Büro heraus und wir sind wieder im Börsenraum.
“Ich weiss, dass es kein gutes Benehmen ist bei einem Vorstellungsgespräch nach der Toilette zu fragen, aber dennoch: könnten Sie mir vielleicht die Richtung zeigen?”
Und so verabschieden wir uns vor der Damentoilette.
In die ich dann hineinstolpere.
“Hallo. Ich bin Denise.”, sagt Denise. “Hast du dich als Übersetzerin beworben.”
“Nein. Naja. Nein... “
“Wir brauchen nämlich eine. Und als ich dich gesehen habe, dachte ich gleich... die ist es.”
“Oh. danke.”, sage ich ein bisschen verlegen. Immerhin befinden wir uns auf der Damentoilette und ich habe nicht ohne Grund mein Vorstellungsgespräch in diese Richtung navigiert.
“Du strahlst so.”, sagt Denise.
“Dankeschön..”
Ein gewisses Zögern tritt ein und weil ich nicht weiter schweigen will sage ich:
“Kommst du aus Frankreich?”, denn ihr Akzent deutet darauf hin.
“Nein. Aus Montreal, aber ich bin zu alt, um meinen Akzent noch zu verlieren.”
“Oh.”
Ich mag Denise und ich mag auch Jan.
Und als Denise sagt:
“Ich will dich nicht abhalten. Hoffentlich arbeiten wir zusammen.”
mag ich sie nochmehr.
Ich mag diese Firma und ich mag die Idee hier zu arbeiten.
Dass es nur bis März sein wird, verschweige ich.
Dass ich nicht vorhabe mein Visum zu verlängern sage ich nicht, sondern behaupte das glatte Gegenteil:
“It is kind of easy to extend your visa. As long as you are in Canada.”
Und ich trete mit strahlendem Lächeln auf die Strasse.
Wieder keine Kippen und ... JA.
Wenn ich einen Job mit viel viel viel viel Stress hätte, würde ich viele viele viele Zigaretten rauchen.
Ich trete in einen kleinen Laden, wo es Zigaretten gibt und kaufe mir eine vollkommen überteuerte Packung rote Gauloise.
Mit dem türkischen Besitzer gerate ich in eine Plauderei und während er meine Bankkarte mit großer Selbstverständlichkeit in eine weiße Plastiktüte einwickelt (nachdem sie dreimal nicht funktioniert hat) und dann durch die Maschine zieht, erzählt er mir, dass seine Frau Deutsche ist, sie in der Nähe von Düsseldorf Verwandte hätte, dass sie nächstes Jahr hinfahren, weil das Baby gerade erst zwei Monate ist und macht mir ein Kompliment über mein Englisch.
“Kein Akzent. Naja. Ein Akzent, aber kein deutscher Akzent.”
“Dankeschön...”
Ich fahre kurz nach Hause, nur um kurz etwas zu essen und mache mich dann auf den Weg nach Richmond.
Ich muß an “Anne in Richmond” denken, aber ich glaube kaum, dass es dasselbe Richmond ist. Oder könnte Anne es nach British Columbia geschafft haben?
Wohl kaum.
Es kostet mich 1 Dollar 25 nach Richmond und als ich ankomme bemerke ich, dass ich nicht genug Kleingeld habe, um zurückzukommen.
Ich sehe mich um und sehe nichts. Nur die riesenngrosse Strasse.
Ich bin in einem Industriegebiet gelandet... (naja... eigentlich sieht hier ziemlich viel so aus, wie bei uns Industriegebiete aussehen) aber ich sehe ein holiday Inn und ich sehe ein McDonalds.
In letzteren gehe ich zuerst hinein und frage, ob es eine “Debitmaschine somewhere around” geben würde.
Ich werde zum Hotel geschickt, wo mir dann auch ein freundlicher Herr den Bankautomaten zeigt.
Zurück zu McDonalds und Kleingeld geholt und dann ... los zum zweiten
Vorstellungsgespräch.
Ich stehe im Eingang des Gebäudes und lese die Tafel, wo die einzelnen Firmen zu finden sind und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich den Namen der Firma vergessen habe.
Von den zwanzig Firmennamen kommt mir keiner bekannt vor und so packe ich denn meinen
Mini PC aus, fahre ihn hoch und schlage in meiner Inbox nach, bei welcher Firma ich den eigentlich das Vorstellungsgespräch habe.
Nach dem Vergleich von meiner Inbox und der Tafel finde ich heraus, dass ich zu Raum 111 zu gehen habe, was ich dann auch schnurstracks tue.
An der Tür jedoch steht:
“Geh zur Rezeption. Geh nirgendwo anders hin. Geh zur Rezeption.”
Ich schaue mich suchend um.
Nirgends stand ein Hinweis zu einer Rezeption und ich gehe noch einmal durch die Irrwege des Erdgeschosses...
Klopfe schliesslich an einer anderen Tür, wo derselbe Firmenname angeschagen ist und werde wieder zu der Tür geschickt, woe
“Geh zur Rezeption. Geh nirgendwo anders hin. Geh zur Rezeption.”
steht.
Fühle mich wie beim Monopoly und befinde mich auf “Los”
Gehe schließlich durch die Tür und es begrüsst mich eine grimmige Rosemary.
Ich hatte sie mir weicher und netter und hübscher vorgestellt. Sie gleich eher dem berühmten Besen...
Ich trage mich in einer Liste ein, frage nach, was ich bei Firma eintragen soll und sie nennt mir grimmig den Namen ihrer eigenen Firma und fügt hinzu:
“Das solltest du aber wissen.”
Ich erröte und rechtfertige mich:
“Ich weiss es auch. Nur wusste ich nicht genau...”
Verschwendete Zeit.
Ich fülle irgendein Forumular aus. So wie heute morgen um halb neun und nachdem ich fertig bin wird May gerufen, die sich als kleine Asiatin herausstellt, die mit den Schuhen schlürft und überhaupt ganz klein und niedlich ist...
“Rosemary hat Dir gesagt, dass wir zunächst einen Sprachtest machen, nicht wahr?”
“Ähhh... NEIN.”, sage ich mit einem Anflug von Panik.
“Ist das ein Problem für Dich?”
“Ähhh... Nein.”, sage ich verwundert, denn May hält zwei Briefe in der Hand, die vom deutschen ins englsche – bzw. vom englischen ins deutsche übersetzt werden sollen.
Als sie den Raum verlässt schaue ch alls erstes nach, ob www.leo.org funktioniert... und als es eine Internetverbindung gibt, atme ich auf.
Dann geht auch das übersetzen und ich hangele mich durch die zwei Briefe.
Als ich fertig bin (und noch kurz meine Mails gescheckt habe) kommt May zurück und hat einen Japaner im Schlepptau.
“Jetzt kommen wir zum eigentlichen Vorstellungsgespräch!”, sagt sie.
“Aha.”, antworte ich und lächele sie an.
Sie ist aufgeregt. Weiss nicht genau, was sie fragen soll und entschuldigt sich:
“Es ist erst mein zweites Vorstellungsgespräch. Die, die dafür eigentlich verantwortlich ist, hat uns im Stich gelassen. Hat was besseres gefunden.”
“Ohh...”
Sie kichert. “Ja... naja... Also...” Sie räuspert sich. “Hattest du die Möglichkeit unsere Website anzusehen?”
“Nein.”, sage ich und denke nach... Nee. Habe ich wirklich nicht gemacht.
Bin tatsächlich sehr sehr unvorbereitet.
“Gut. Gut.”, sagt sie “Da steht sowieso nicht drinnen, was wir machen.”
“Oh.” Sie kichert wieder.
Und erklärt dann, dass sie Broschüren verschicken. Broschüren an die ganze Welt. Dass sie es mit Astrologie zu tun hätten und die Sterne gegen Geld voraussagen. Aber wir haben einen Psychic. Einen berühmten. Und wir haben...” Sie kichert wieder “Die Mutter von Silvester Stallone.”
“Wow.”, sage ich.
“Naja. Ich gewöhne mich ein bisschen daran.”
May macht mit jedem Satz klar, dass sie nicht hinter der Firma steht und dass sie auch nicht genau weiß, warum sie sieben Jahre dort arbeitet.
Der Japaner neben ihr sitzt dort und lächelt mich an.
Ich lächele ihn an.
May stellt mir persönliche Fragen und als sie dann sagt:
“Kishu hast du noch eine Frage?”
Rutscht mir das Herz in die Hose, denn ich verstehe kein Wort von dem was der Japaner mich fragt. Ich muss diverse Male nachfragen, bis ich die Standardfrage:
“Was ist deine Stärke? Was ist dein Schwäche?”, heraushöre.
Meine Standardantwort in Bezug auf die Stärke varriiert. Meine Standardantwort in Bezug auf die Stärke bleibt die Gleiche...
In dieser Firma ist meine Stärke
“Ich kann mich für lange Zeit konzentrieren.”
(In anderen Firmen war es: “Ich arbeite gut in einem stressigen Umfeld” oder “Ich bin sehr charmant.” oder “Ich habe einen Magister.”)
Meine gleichbleibende Schwäche ist
“Manchmal bin ich ungeduldig. Besonders mit Computern.”
Erfahrungsgemäß lachen die Leute dann und fühlen sich verstanden, denn die meisten Menschen sind von den Launen der Computer überfordert und sind ebenfalls ungeduldig.
Die nächste Standardfrage bringt mich zum Lachen
“Kannst du dir vorstellen hier zu arbeiten?”
Ich kichere und sage:
“Das ist alles ein bisschen viel. Astrologie, ein Psychic und die Mutter von Sly?”
May kichert auch
“Ja. Das ist es.”
Ich räuspere mich und sage: “Ja. Klar. kann ich mir vorstellen hier zu arbeiten.”
Es scheint mir als die höflichste Antwort.
Und als mir May noch die Räumlichkeiten zeigt muss ich noch ein wenig mehr kichern.
Surealitäten in Richmond....
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