Mein ehemaliger Mitbewohner aus Belgien – P.J. - trägt Schuld daran, wie ich mein Silvester verbracht habe.
Hätte er keinen Urlaub in Tofino gemacht, wo er Linda, eine Lübeckerin kennenlernte ...
Hätte er ihr nicht meine Mailadresse gegeben...
Wäre sie Silvester nicht nach Vancouver gekommen...
Aber so verbringe ich eine Art Lübecker Silvester und treffe Linda am Nachmittag vor der Artgallery.
Zunächst überlege ich, ob Linda auch eine kleine deutsche Chinesin sein könnte, die ebenfalls warte und bin kurz davor sie anzusprechen, als eine große Linda winkend auf mich zueilt.
“Bist du Marianne?”
“Ja.”
Damit ist eigentlich auch schon alles geklärt.
Ich hatte sowieso nichts vor an Silvester. Halte von diesem Datum nichts und habe das abklingende “Weihnachtsheimweh” gerade überwunden.
Und so stapfen zwei Lübeckerinnen am Nachmittag des 31sten zum Canada Place und wandern einmal drumherum.
“Hier war ich noch nie.”, sagt Linda und lächelt und ich stelle das fest, was ich schon mehrere Male festgestellt habe...
Ich verschwestere mich blitzschnell mit Menschen... und zwar nur aufgrund unserer gemeinsamen Nationalität.
Wir müssen nicht wirklich mehr gemeinsam haben. Können unterschiedliche Leben geführt, unterschiedlichen Humor haben,
Alles egal. Du bist Deutsche. Ich bin Deutsche. Wir sind Freunde.
Hier noch pointierter.
Wir sind Lübeckerinnen... Und das bedeutet gleich noch einmal eine Verdoppelung der Symphathien.
Wir reden über so ziemlich alles.
Sie schüttet mir ihr Herz aus – bei einem Muffin bei Tim Hortons – und ich bemerke schnell, dass es einen großen Unterschied macht, ob man einen Monat oder sieben dem “canadian way of life” mehr oder minder ausgeliefert ist.
Ich muss zur Bank...Und nehme sie schlichtweg mit, denn ich will meinem Mitbewohner schon heute die Miete für Januar geben. Er soll schließlich auch ein gutes Silvester haben.
Und ihre Meinung: “Ich willl nicht in Vancouver leben. Das ist viel zu laut.”, wird zu
“Ohhh. So ist das?!”
Tatsächlich ist Vancouver eine ruhige Stadt, denn sobald man aus Downtown verschwindet – was man sich sowieso nicht leisten kann – erinnert es an deutsche Vorortsiedlungen.
Was für mich mittlerweile selbstverständlich, wenn auch obskur ist, ist für Linda neu.
“Ja. Die Einfamilienhäuser sind untervermietet.”
Menschen kaufen sich ein Haus und finanzieren die Abzahlung der Hypothek damit, daß sie untervermieten.
Also hat man zwar ein Eigenheim, teilt es jedoch mit fremden Menschen. Und es ist für Kanadier schwer verständlich, daß es anders sein kann ...
Linda und ich sitzen in meinem Zimmer, als es in Deutschland Mitternacht ist und wir stoßen mit Kaffee darauf an und brüllen uns ins Ohr: “Schönes neues Jahr!”
Es ist zu spät für die Artgallery – was wir eigentlich vor hatten - und so trinken wir einen Kaffee auf dem Drive – der Straße, die in Straßenführern nicht vorkommt, die aber die alternative Seele der Stadt ist und begeben uns dann ins Youth Hostel.
Meine phlegmatische Einstellung: “Warum nicht?” und meine erlernte Einstellung “Immer erstmal zu allem JA sagen” haben mich dazu gebracht jetzt in einem abgewanzten Gebäude voller Jugendlicher zu sitzen.
Komme mir alt und wie eine Ureinwohnerin vor und bemerke, warum ich rein instinktiv das richtige gemacht habe.
Youth Hostelling ist rein gar nichts für mich.
Es scheint eine vollkommen andere Einstelllung zu sein, die mir da um die Ohren weht, als ich auf den Balkon zum rauchen gehe.
Junge, schon um sechs betrunkene und immer noch Aknegezeichnete junge Männer demonstrieren lautstark ihre Potenz, während junge stark geschminkte und wenig bekleidete junge Frauen dämlich kichern.
Ich glaube in meiner gesamten Zeit in Kanada habe ich mich noch nie so alt gefühlt.
Aber ich sehe es mir an...
Youth Hostleller habe einen bestimmten Fragenkatalog, den sie abhaken.
“Wo kommst du her?”, ist die erste Frage.
“Wo willst du hin?”, ist die zweite Frage.
Also relativ essentielle Fragen, aber auf einmal bin ich nicht die Außenseiterin, wie sonst hier in Vancouver, sondern mittendrinn in dem Gemenge an deutschen Work and Travellern.
Und es gefällt mir – arroganterweise vielleicht – ganz und gar nicht.
Nachdem ich gefühlte tausendmal die oben genannten zwei Fragen beantwortet habe wird mir langweilig und ich beginne damit Bier zu trinken. Viel Bier zu trinken.
Schließlich ist Silvester.
Dass ein Youth Hostel auch gleichzeitig eine Partnervermittlung für Menschen unter 25 ist, bemerke ich nach zwei drei Bier als ein ungewaschener Jüngling sich an mich herandrängelt.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Jünglinge hier alle ungewaschen sind, und mir die innovativen Fragen:
“Wo kommst du her?” und “Wo willst du hin?” stellt.
Ich antworte ihm, bin aber eher davon gefesselt zu beobachten, wie sich die neunzehnjährige Neuseeländerin sich tanzend räkelnd an einen 23 jährigen Russen heranschmeisst.
Ich bin ja nicht wirklich prüde, aber dieses plumpe betrunkene Gehabe finde ich auf abschreckende Weise faszinierend.
Das Paarungspiel der jungen Menschen.
Ich bin eine arrogante Sau.
Und ich bin noch arroganter, als ich dem ungewaschenen Jüngling die Wahrheit ins Gesicht schleudere:
“Du bist zu jung.Ich bin 32.”
Daraufhin macht er – und das auf eine verblüffend schnelle Weise – die Biege.
Er sieht nur auf die Uhr und sagt:
“ich muss weg.”
und ich denke: Ein Problem weniger.
Ein weiterer Jüngling, der einigermassen nett aussieht setzt sich mir gegenüber.
“Und warum bist du hier?” frage ich eher lustlos.
“Ich komme aus Californien. Und bin da zu jung zum trinken. Deswegen. Ich bin erst zwanzig.”
“Aha.”
“Und wie alt bist du?”
“Zu alt.”, erwidere ich trocken.
“Das ist ein gutes Alter.”, erwidert er und lächelt sein typisch californisches Lächeln. Was – naturgegebenermaßen – an eine Zahnpastareklame erinnert.
Dieses Mal verschwinde ich.
Und zwar aufs WC.
Ich schaffe es jedoch nicht hinzuglangen, da nun der Countdown läuft.
Und ich höre zu und spüre nichts, als es Mitternacht ist.
Bin in deutscher Zeit verhaftet...
Und denke nur: dieses Jahr sehe ich die Rockies und die Niagara Fälle und Prince Edward Island.
Aber erstmal ...
Erstmal fühle ich mich als Alt-eingesessene Vancouveranerin...
Und habe an Silvester gelernt...
Touristin bin ich hier nicht...
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