Es ist viertel vor Acht und ich befiinde miich in der (mittlerweile) guten alten Callcenterhölle. Daniella zupft sich die Augenbrauen, wobei ich einmal mehr nicht verstehen kann, warum sie zwar so große Sorgfalt auf ihre Augenbrauen anwendet, ihre Arme jedoch von einem dichten Haarfell überzogen sind.
Aber das sind nur meine kleinen – oberfächlichen und weil sie mir gegenüber ihre Dämlichkeit offenbart hat – auch voreingenommene Meinung.
Man mag sie auch gehässig nennen. Davon kann ich mich nicht ganz freimachen. Bin nicht groß genug, um ohne diese Gedanken auszukommen.
Sie putzt ihre Dolce und Gabana Brille mit großer Sorgfalt und spricht gerade die große Wahrheit “Ich liebe Ohrringe” aus. Und das tut sie tatsächlich. Das glaube ich ihr.
Vielleicht sind es ja auch gar nicht ihre negativen Energien die zwischen uns stehen, sondern nur meine.
Den letzten Samstag. Der Samstag vor zwei Wochen. Den habe ich genossen.
Sie war nicht da. Es war ein wunderschönes Arbeiten. Ich war frei. Ich war ich. Habe Witzchen gemacht. Mit meinen Kollegen laut gescherzt. Ohne dämliche Kommentare von ihr oder ihrer besten Freundin über mich ergehen zu lassen oder die glorreichen Zurechtweisungen, wie
“Es ist unhöflich Leute zu unterbrechen!”
“Du weißt schon, dass die Decken für alle da sind und du die Decke nicht mit nach Hause nehmen darfst.”
Ohne prüfende und (von mir so ausgelegte) abschätzige Blicke...
Ich versuche so sehr in mir zu erreichen, dass meine direkte Nachbarin mir egal ist. Aber ich schaffe es nicht... Schaffe es einfach nicht....
Dabei hat der Tag so gut angefangen. Nun ja. Relativ gut.
Habe am Morgen lange mit denn Eltern in der Heimat gesprochen, mich von ihnen aufbauen lasen und meine Wut auf dämliche, ungebildete und unpolitische Menschen abgelassenn. Eigentlich schlichtweg mein Heimweh geäussert.
doch um halb sieben an der Skytrainstation Broadway/Commercial wird mir dann wieder klar, warum ich Vancouver mag.
An der Bushaltestelle wo ich einsteige hat man die Möglichkeit sich in Reihen aufzustellen, da sich dort alle Türen öffnen und man nicht ganz vorn beim Busfahrer einsteigen un seinen Fahrschein vorzeigen muß.
Ich stelle mich in der letzten Reihe an, höre meine Musik, trinke aus meinem roten Thermosbecher Kaffee und freue mich an dem stürmischen und trotzdem nicht regnerischen Wetter.
“Das Wetter ist doof, ne?”
“Was?” ich drehe mich um und sage zu dem Mann hinter mir: “Neiin.. Ich mag dieses Wetter.”
Ein kleiner dicklicher Mann mit Brille und Baseballmütze ist an den Platz hinter mir gerückt und beginnt ein Gespräch.
In Deutschland war ich es bereits gewohnt, dass Menschen unaufgefordert mit mir sprechen. Aber zumeist haben sie meine Kopfhörer in den Ohren respektiert. Hier ist das anders.
Und ich mag es. Mag das Gespräch auf der Strasse. Mag den Klönschnack am Rande.
Mochte ihn schon immer. Bin halt ein Dorfkind durch und durch.
Unvermittelt beginnt mein Hintermann mir sein hervorstechenstes Merkmal – sein Leben zu erzählen:
“Ich habe Epilepsie!”
So etwas kommt dann doch ein wenig unvermittelt.
“Ich habe Epilepsie seitdem ich zwanzig Jahre und fünf Tage alt bin.”
“Aha.”.
“Das weiß ich so genau, weil es fünf Tage nach meinem Geburtstag passiert ist. Meinem zwanzigsten Geburtstag. Und drei Wochen vor dem Geburtstag von meinem Bruder. Und fünf Wochen nach dem Geburtstag eines meiner anderen Brüder. Ich habe sechs Brüder und zwei Schwestern.”
“Wow.”
“Ja. Und ich hätte noch mehr. Aber zwei Geschwister sind gestorben kurz nachdem sie auf die Welt kamen. Die haben wir nie gesehen. Aber das waren auch die fünfziger Jahre. Heutzutage überleben sogar Babies, die nur ein Pfund schwer sind. Meine Geschwister sind gestorben. Und heute retten sie die Kinder.”
Er schüttelt nachdenklich den Kopf und mir bleibt nur einmal mehr zu nicken und “Aha.” zu sagen. Der Stille die da folgt, vielleicht weil er über seine toten Geschwister nachdenkt, entgehe ich, indem ich schnell sage: “Die moderne Medizin...”
“Ja.”, nickt er und wechselt schnell das Thema.
“Ich finde die 99 sollte noch einen Stopp bei Fraser haben. Ich meine. Da wohnen auch viele. Bei Fraser. Und es sind acht Blocks zwischen den beiden Stationen. Ich meine. Bei Fraser wollen die auch zur Skytrain.”
“Ja.”
Unvermittelt beginnt er über das Bestattungsinstitut, was früher dort war, wo nun ein Kran steht – direkt an der Ecke Commercial/Broadway – zu reden.
Ich mag ihn. Mag seine Geschichte und lächele ihm zu:
“Have a nice day.”
“You too.”
Nun ist es halb neun und Daniella hat sich einen Topf Mr. Noodles gemacht, den sie jetzt in hausgemachter mexikanischer Hot Sauce ertränkt.
Es stinkt und sie singt laut zu irgendwelchen spanischen MP3s.
Nach wie vor... Ich versuche, dass sie mir egal ist...
Und lasse mir von ihr nicht den ganzen Tag zerstören... Die anderen sind schließlich nett. Und wie ein Kunde mir heute sagte:
“Schwarze Schafe gibt es überall.”
1 Kommentar:
Du findest Daniela bestimmt ganz toll und kannst es einfach nicht zugeben. So sieht's aus! Hallöle Majanne, wunderbare Köpfe haste ja gepinselt und in Kanada auf die Straße gelegt. Göttchen wie originell...
jo
Kommentar veröffentlichen