Zugfahrt die Erste

Ich sitze nach langerer Warterei und viel zu frühem Einchecken endlich im sogenannten “Canadian” und sehe Vancouver beim Dunkelwerden zu.
Natürlich wußte ich schon vorher, dass Kanada und das öffentliche Verkehrssystem miteinander auf Kriegsfuß stehen, aber das sich die Abfahrt aus Vancouver um zwei Stunden verzögert, da (unter anderem) in einem der Wagons die Lautsprecheranlage nicht funktioniert, hätte ich dann doch nicht für möglich gehalten.
Ich sitze auf meinem Platz. Neben mir sitzt Gottseidank niemand und so kann ich still und heimlich Tränen vergießen.
Und das tue ich tatsächlich.
Aber so groß meine Liebe zu Vancouver auch ist ... über zwei Stunden kann ich dann doch nicht weinen. Es wird wohl eher eine halbe Stunde... und ich lächele über mich selbst. Wenn ich meine Liebe zu dieser Stadt and den vergossenen Tränen messen sollte ... Vancouver wäre verloren. Andererseits weiß ich nicht, ob ich überhaupt jemals um den Weggang aus einer Stadt geheult habe.

Müde bin ich. Zuallererst bin ich einmal müde.
Der Capuccino auf dem Drive am gestrigen Abend hat mich wach gehalten und zwei Nächte mit nur jeweils drei Stunden Schlaf lassen meine Glieder und Gedanken nur an baldigen Schlaf denken.
Dummerweise sitze ich an einem Platz, der nicht ausserhalb von Hörweite dreier canadischer Kusinen ist.
Während sich also meine Nase verstopft und ich leise schniefe höre ich den nur allzu tiefen Gedanken der Kusinen zu.
“Ich war gestern in The Bay und wollte mein Makeup kaufen. Das hatten sie nicht da. War ausverkauft.”
“Echt?”
“Ja. Und dann war ich bei Sears und wollte mein Shampoo kaufen. Und das hatten sie nicht da. War auch ausverkauft.”
“Oh.”
“Ja. Aber dann war ich im Pacific Center und da hatten sie mein Shampoo im Sonderangebot und mein Makeup auch.”
“Du Glückliche!”
Ich stelle mir The Bay vor und Sears und das Pacific Center und es kommen noch ein paar Tränen. Außerdem hole ich meinen MP3 Player hervor und höre – denn ich denke er ist der Situation angemessen – ein wenig sentimentalen Johnny Cash.
Als er :”We'll meet again” singt, kommen mir noch mehr Tränen und ich kann das Gespräch der Kusinen leider noch immer hören. Sie sind jetzt bei Fernsehserien angekommen. Und sie alle lieben “Lost”:
“Ich habe meinen VCR programmiert. Weil wir die Serien ja nicht sehen können!”
“Wunderbar!”
“Ja. Aber der Klempner kommt und wenn er den Strom ausschaltet, dann deprogrammiert sich mein VCR wieder.”
Mich interessiert “Lost” kein bisschen und auch “24 Hours” interessiert mich einen Dreck. Ich höre mir noch einmal “We ll meet again” an und will mich in die Dramatik des Augenblicks hineinsteigern. Ganz im Moment sein, wenn es losgeht. Aber die Abfahrt ist nun schon um eine Stunde verzögert. Statt 8:30 ist es nun schon 9:30 und ich sehe Science World in seinem funkelnden Gewande.
Ja, denke ich vor mich hin. Wir werden uns wiedertreffen, Vancouver. An einem sonnigen Tag. Und dann wird alles gut.
Ich stöpsele meine Musik wieder aus und kuschele mich in den Sitz. Ich will versuchen zu schlafen. Weinen und mangelnder Schlaf die letzten Tage – gekoppelt mit eindeutig zuviel Alkohol. Und wenn ich dann schlafen sollte, wenn der Zug abfährt, umso besser.
“Tantchen Caroline holt uns dann in Winnipeg ab.”, sagt die eine der Kusinen.
“Da haben wir hoffentlich drei Stunden.”, bemerkt eine andere der drei.
“Ich habe ihr gesagt, dass wir eigentlich nur duschen wollen. Nach drei Tagen im Zug wollen wir nur noch duschen.”
“Stimmt. Und essen.”
“Sie holt uns dann ab und meinte, dass das schon alles klappt.”
Mitlerweile ist es 10 Uhr 30 und tatsächlich setzt sich der Zug in Bewegung. Ich muss nicht weinen, aber ich sehe zurück zu Vancouver. Werde sentimental und kann meine Gedanken nicht fassen. Zumindestens nicht wirklich.
Der Zug pfeift vor sich hin. Das Rattern der Räder lässt mich zurücksinken und nach kurzer Zeit fahren wir auch schon am Commercial Drive vorbei.
Unter der Brücke durch dieses Mal.
Auf der Brücke habe ich oft auf Menschen gewartet, bin unzählige Male über diese Brücke gelaufen.
Auf wiedersehen Vancouver.

Und ich versuche zu schlafen. Es gelingt mir nicht. Klappe meine Sitze zur Seite und versuche eine angenehme Schlafposition zu finden. Keine Chance. Ich bin zu groß oder zu breit. Oder beides. Kann mich aber auf die zwei Sessel in Embryonalhaltung zusammenfalten. Ob ich schlafe, weiß ich nicht. Sicherlich immer mal für ein paar Minuten.
Am nächsten Morgen wache ich mit dem Gefühl auf, dass wir jetzt schon in den Rockies sind. (Später erklärt uns der Schaffner, wo genau die Rockies anfangen) und wanke in den Wagon wo es Kaffee gibt.
Für kurze Zeit setze ich mich in das Abteil, welches obenrum verglast ist und lese ein wenig in dem mäßigen Dan Brown Buch, was ich mir letztens im Shoppers Ecke Broadway Commercial gekauft habe. Ein mäßiges Buch. Ein dämliches Buch.

“Sehr geehrte Damen und Herren. Wir erreichen gleich Kamloops.” kommt eine Ansprache.
Ich springe auf und springe aus dem Zug. Es ist strahlender Sonnenschein um neun Uhr morgens und nach 14 Stunden rauche ich - mit meinem zweidollar Kaffe – eine Kippe. Ich hüpfe ein wenig und gehe einmal an dem Zug entlang. Der Zug ist ziemlich lang und wir werden von dem einen Schaffner dazu ermahnt nicht zu weit wegzulaufen.
“Wir haben nur zwanzig Minuten”, sagt er zu mir, während ich hüpfe und meine Glieder strecke und recke und mich am Sonnenschein erfreue.

Nach zwanzig Minuten Aufenthalt geht es weiter und ich kaufe mir noch einen Kaffee und ein überteuertes Brötchen.
“Meine Damen und Herren. Wir erreichen jetzt die kanadischen Rockies.”, ertönt es aus dem Lautsprecher und Richtig. Es sind große und durchaus massive und majestätische Berge, die da aufragen. Nach anfänglicher Begeisterung und dem Drang die Berge zu fotografieren “Hier ist der Mount Robson. Heute können wir ihn ganz erkennen. Es ist ein solches Glück. Einer von 10 Tagen im Jahr!” , kapituliere ich schließlich. Es sind dann doch nur dutzende nichtssagende Berge und im Nachhinein werde ich nicht mehr wissen welcher dieser Berge tatsächlich welcher ist.

Stattdessen höre ich jetzt Bob Dylan, hole meinen Skizzenblock hervor und male vor mich hin.
Ab und zu ertönt: “Zu ihrer linken ein Bär.” oder “Zu ihrer rechten Elche” oder “Gleich kommen wir an Wasserfällen vorbei. Es sind die Pyramid Falls. Sie sind 30 Feet tall..” oder “ Zu ihrer rechten ist der See Mousse.”
Richtig erstaunt bin ich jedoch, als mir verkündet wird:
“Willkommen in Alberta.Hier ist der Yellowhead Pass, was die Grenze zwischen Alberta und British Columbia ist.”
Ich hätte gedacht, dass wir schon längst dort sind. Doch weit gefehlt.
British Columbia hat nicht nur den Pazifik, die Regenwälder und Whistler ... nein – British Columbia hat auch noch einen Teil der Rockies... Ignorante Menschen, die über kein Vorwissen über BC verfügen (obschon sie elf Monate dort gewohnt haben), werden immer wieder positiv überrascht...Und ich danke meiner Ignoranz.

Für eine Minute oder Sekunde horche ich in mich hinein, ob ich auch um BC weinen muß. Ich muss es nicht – stelle ich zufrieden fest und widme mich weiter meinen Malereien.
Und schließlich kommen wir in Jasper an.
Eine unspektakuläre Reise... aber tatsächlich und wirklich ... Wunderschön!

1 Kommentar:

Tobias hat gesagt…

Wow, jetzt gehts also durchs Land, quer durch Kanada. Ich wünsche Dir allzeit gute Fahrt. Ist das Ziel immer noch der Atlantik?

LG Tobias