Es fing mit einem 76jährigen aus Pinneberg an. Das Ende vom Anfang. Mein kleiner eigener Antrieb jeden Tag um vier Uhr dreissig das Haus zu verlassen, um für sieben Stunden mein kleines Inseldasein bis zum Exzess zu treiben, wurde von diesem Mann aus Pinneberg maßgeblich bestimmt. Und gefördert. Nicht mehr nur die 12 Dollar fünfzig am Tag geben meinem Berufsleben Sinn, sondern auch ein kleiner Pakt, den ich mit mir ganz allein besiegelt habe und der da lautet:
Rette jeden Tag zumindestens einen!
Ich rief ihn an, um eine Bestellung, die er mit einem der Agenten aufgegeben hat abzugleichen und als ich seine vergangenen Bestellungen ansah fiel mir auf, daß er einem Abo für das Australische Lotto zugestimmt hatte, was sich jeden Monat auf 50 Euro beläuft.
Wir sind dazu angehalten die Kunden nicht darauf hinzuweisen. Nicht auf dieses Abonement. Einmal abgeschlossen und fertig ist die Laube. Abo ist Abo. Die Menschen müssen schon selbst darauf kommen, warum sie so wenig Geld auf dem Konto haben.
Mir aber war der nette Mann aus dem Norden sympatisch. Ganz allein nur, weil er aus dem Norden kommt und ich auch. Da sind wir schon zwei und sitzen quasi im selben Boot. In den Fängen des Lotteriegeschäfts... Einer drinnen – einer draußen.
“Sie haben heute 2 Anteile an den Euromillionen erworben für einen Gesamtbetrag von 20 Euro.”, sage ich ihm. “Stimmt das?”, frage ich ihn.
“Jo.”, sagt er in seiner norddeutsschen Kürze.
Ich hadere noch ein bisschen. Ringe mit mir selbst noch ein Sekündchen, bevor ich dann einen Vorstoß gegen das System wage:
“Und außerdem. Daran wollte ich sie noch erinnern... Sind heute die 50 Euro für das Australische 6 aus 45 abgebucht worden.”
“Was?”
“Ja...”
“Was ist das?”
“Das ist ein Abonomment, dem sie zugestimmt haben.”
“Ich habe... WAS?”
Die norddeutsche Gelassenheit ist abgestreift und ich höre ein wenig Panik in seiner Stimme.
“Ich schaue nochmal nach, wann sie das abgeschlossen haben.”, sage ich.
“Ja. Wann hab ich denn das abgeschlossen?”
Ich tippe mich mithilfe von einigen F Tasten zu dem Bildschirm der vergangenen Bestellungen und erkläre ihm, was es damit auf sich hat.
“Das Spiel hat im Januar begonnen.”,erkläre ich ihm.
“Oh.”
“Ja. Und das ist jetzt die dritte Abbuchung von 50 Euro.”
“Na. Das stoppen sie jetzt aber mal. Das wusste ich gar nicht.” Er schnaubt ungehalten in den Hörer.
Im stillen denke ich, daß das nun nicht von ungefähr kommt, da wir das schlimme Wort Abonement nicht sagen dürfen. Wir sagen stattdessen:
“Sie kaufen ein Jahreslos für das Australische Lotto und anstatt es in einem zu bezahlen, zahlen sie es dann in Raten ab.”
Aber das sage ich dem Kunden nicht, der nicht wirklich weiß, dass ich ihm einen großen Gefallen getan habe und nun richtig ungehalten wird:
“Dann stoppen Sie mal alles. Dann habe ich keine Lust mehr.”
“Auch die Euromillionen für 20 Euro?”
“Naja...”
“Also die Euromillionen wären eine einmalige Zahlung von 20 Euro.”
“Auch wirklich einmalig?”
“Wirklich.”, antworte ich und füge, weil ich ja mit einem norddeutschen älteren Mann rede die kleinen magischen Worte: “Auf Ehre!” hinzu.
“Dann machen wir das.”, sagt er und ich atme auf.
Nicht zu offensiv retten, denke ich. Nicht zuviel auf einmal.
Und ich merke, wie ich freier atmen kann, wie ich auf einmal ein klein bisschen mehr Luft bekomme. Ich arbeite nun gegen das System... Wie wohl ist mir.
Nach dem Telefonat stehe ich auf und gehe zu meiner direkten Vorgesetzten:
“Ich habe nicht gesehen, dass es ein Abo war. Deswegen habe ich den Kunden daran erinnert und nun will er das gekündigt haben.”, sage ich ihr emotionslos.
Sie sieht mich an. Von oben bis unten.
“Die Abbuchungen waren am selben Tag.”, füge ich hinzu.
Sie sieht mich weiter an und sagt dann:
“Du hast einen Fehler gemacht.”
“Ja.”, antworte ich. Und vergesse – darüber habe ich mich dann später geärgert - “Entschuldigung!” zu sagen.
Das Abo wird gekündigt und ich kann mich wieder an meinen Tisch und meine Ruhe begeben. Mit dem guten Gewissen einen guten Fehler gemachtt zu haben.
Am nächsten Tag ging es mit einem englischen Ehepaar weiter.
“Könnte ich bitte mit Hern ... sprechen?”
“Er ist gerade nicht da. Kann ich was ausrichten?”
“Nein. Ich muss schon mit ihm persönlich sprechen.”
“Oh..”
Kurze Pause am anderen Ende der Leitung, dann die Frage:
“Sind sie von der Lotterie?”
“Ja.”, gebe ich unumwunden zu.
“Gut. Wir wollen die Lose nicht.”, sagt die Frau resolut.
“Es tut mir leid, aber da müsste ich schon mit ihrem Mann reden.”, sage ich, die die rechtliche Seite im Hinterkopf hat.
“Gut.Gut.” Sie ruft ihrem Mann herbei und sagt ihm, dass er ihr den Auftrag erteilt in seinem Namen zu sprechen. Eine gehetzte Stimme ertönt:
“Meine Frau handelt in meinem Namen.”
“Sind Sie Herr...?” , frage ich noch einmal nach.
“Ja und meine Frau handelt in meinem Namen.”
“Dankeschön.”, sage ich und habe flugs wieder die Dame am Telefon.
“Wir hatten nämlich gerade einen Streit.”, erklärt mir die Frau. “Mein Mann hat damit ein großes Problem NEIN zu sagen. Wir sind Renter. Wissen Sie? Und letzten Monat wurden schon 32 Pfund abgebucht. Und die haben wir einfach nicht. Und ich hatte schon schlaflose Nächte deswegen.”
“Oh. Das tut mir leid.”, sage ich.
“Wir haben das Geld einfach nicht. Und mein Mann sagt immer zu allem JA und ist zu nett und zu höflich.”
Ich schaue durch ein paar schnelle Tastenkombinationen in die Notizen, wo im Juni 2007 bereits eingetragen steht: BEWARE OF THE WIFE und ein kleine Schaudern ob der Zynik des Verkäuferberufes überkommt mich.
“Die Bestellung von heute können wir natürlich kündigen.”, sage ich.
“Das können sie?”
“Ja. Und ich schau mal kurz nach den anderen Bestellungen.”, gebe ich ihr freundlich zu verstehen.
Nach einigen Nachforschungen muss ich ihr leider sagen, dass die Spiele bereits angefangen, bzw. geendet haben.
“Das Geld können wir ihnen nicht zurückerstatten.”, sage ich ihr nun.
“Aber können Sie machen, dass wir nicht mehr angerufen werden?”
“Oh...”
“Ich bin für die Finanzen zuständig. Und wir haben kein Geld und mein Mann ist unfähig NEIN zu sagen.”
Ich fühle mich hinein und versuche im Rahmen des Gesetzlichen zu agieren und antworte ihr ehrlich und unumwunden.
“Ich verspreche Ihnen, dass ich jetzt sofort zu meiner Chefin gehe und Ihren Fall schildere. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Sie nicht mehr angerufen werden, aber ich kann Ihnen versprechen, dass ich mein allerbestes tun werde.”
“Ja?”, fragt die Frau.
“Ja.”, sage ich und nach tausendmaligem “Dankeschön” von ihrer Seite und großer Beschämung von meiner Seite legen wir auf.
Dann stehe ich auf, schildere den Fall meiner direkten Vorgesetzten, worauf meine Oberchefin hinauskommt und die Kundendatei mit einer roten Flagge belegt.
Er darf nicht mehr angerufen werden...
Er darf nicht mehr angerufen werden...
Und ich notiere mir die Adresse, um der Dame eine Karte zu schreiben, damit sie sich keine Sorgen mehr zu machen braucht...
Manche Rettungen sind nicht sonderlich spektakulär.
Man sagt vielleicht doch das böse Wort ABO...
Man legt eine besorgte Betonung unter die Stimme, wenn man den Betrag von 1204 Euro für das Sommer Gordo vorliest...
Man sagt: “Nein. Wir nehmen keine Maestro Karte”
etc...
Aber mein Glaube wurde mir wiedergegeben, als ich mit einem Agenten, der erst einige Wochen dort arbeitet rede.
“Und wir gefällt es dir so?”, fragt er.
“Naja. Ich verdiene Geld und bin in nem Monat hier weg. Ich verstehe nicht, wie die Agenten Tickets an so arme Menschen verkaufen, die einfach nur gutgläubig sind.”
“Ich hasse es hier auch...”, sagt er. “Ich hatte mal eine, die taub und blind war. Und sie hat trotzdem gespielt. Ich frag mich, wie das geht. Die hat doch nichts verstanden.”
Wir shweigen ein wenig, bis er sagt:
“Das was ich den ganzen Tag mache ist ältere Kunden anzurufen, mit ihnen zu reden und sie dann mit roten Flaggen zu versehen. Wenn die Altzheimer haben. Oder sich nicht mehr erinnern können. Eine Frechheit, dass die angerufen werden. Ich verdiene hier sowieso nichts. Da kann ich auch meine Zeit damit verbringen etwas gutes zu tun! Und haben sie erstmal ne rote Flagge können sie NIE wieder angerufen werden.”
Ich lächele ihm voller Hochachtung zu.
Manche Agenten sind doch nicht so schlecht....Manche...
1 Kommentar:
Marianne rettet die Welt :-)
Sehr schön, würde ich genauso machen.
LG aus London,
Rebecca
Kommentar veröffentlichen