Frauenabend in Coquitlam

"Du hast doch gerade keinen Job, oder?"
"Nein."
"June. Meine Untermieterin braucht einen Dogsitter. Bist Du frei?"
"Ja."

Die Möglichkeit mir einen kleinen Groschen dazu zu verdienen steht mir vor Augen. Und natürlich sage ich "Ja."
Und so packe ich am Mittwoch meine Sachen und mach mich auf.
Nach Coquitlam.

Kaum komme ich an okkupiert mich Betsy mit allerlei anderem.
"Könntest du..."
"Würdest du..."
Und ich finde mich am Abend in ihrer Küche wieder. Mit Gary, Corey und Betsy und wir essen Kartoffelsuppe und Kürbis und Lachsbulletten...Und trinken Wein. Reden und lachen viel.

"Morgen ist Geschichtenerzählnacht.", sagt mir Betsy in einer ruhigen Minute.
"Aha.", antworte ich. Und kann mir nicht wirklich etwas darunter vorstellen.
"Das haben mir meine Freundinnen geschenkt. Es ist nur für Frauen. Also sag Gary nichts davon."
"Nein. Nein. Danke für die Einladung."

Und ich versuche es als Einladung zu sehen und nicht als:
"Betsy verfügt über meine freie Zeit."
"Wer kommt denn?"
"Ich weiss nicht..."

Ich kann es schwer ausschlagen...
Der nächste Tag kommt und mit ihm die Arbeit.
Das Haus aufräumen, mit dem Hund gehen, das Haus weiter aufräumen, Briefe sortieren, mit Betsys ungarischer Sekreträrin plaudern...
Funktionieren...

Zwischendrinn ein kleiner Heulkrampf meinerseits, als ich nach fünf Monaten das erste Mal die alltägliche Stimme meines Bruders höre: "Ich hab grad ein bisschen Zeit zum plaudern."
Mir wird erst jetzt bewusst wie sehr ich ihn vermisst habe.
Erst in der Sekunde als ich seine Stimme höre stelle ich mir die Frage
"Was mache ich eigentlich hier?"
Habe auf einmal keine Lust mehr auf ihre Familie und ihre Freunde.
Will bei meiner Familie und meinen Freunden sein.

Mit melodramatischer Geste werfe ich mich auf das fremde Bett und Tränen fliessen in Strömen. Aber da ist dieser kleine zwölfjährige Hund der wie E.T. aussieht. Und der springt auf mein Bett und legt sich ganz dicht neben mich und tröstet mich.
Ich raffe mich auf. Mit Selbstdisziplin und dem Willen mich nicht in die Traurigkeit hineinzubegeben.
Trotzdem...
Tieftraurig und mit dem Gefühl nicht am richtigen Ort zu sein steige ich von der Basementsuite der
Untermieterin nach oben...

Und als ich nach oben komme ist Judy schon da.
Judy, die mich als erstes fragt:
"Was denkt Europa über Obama?" und die mich von meinem einen Bruder zu meinem anderen Bruder wirft.
Ich denke an den Kleinen, versuche zu abstrahieren und versuche zu funktionieren.
Rede über Supermächte und dass Deutschland hofft, dass Obama die Macht der USA besser händeln kann als Bush...
Es gelingt kläglich.
Aber es gelingt.

Betsy die immer noch alles toppen will hat einen Geschichtenerzähler engagiert.
"Meine Freundinnen schenken mir Geschichten und ich ihnen einen professionellen Geschichtenerzähler."

Und er trampelt in das Haus am Custer Crt.
Mit einem Wikingerhut der mit Federn bestückt ist. Einer Weste auf der so etwas wie Freiheit des Geistes aufgestickt ist und einer Message:
"Seid frei im GEiste"
Ich kann ihm nicht folgen.
Man mag es auf mein Englisch zurückführen, man mag es darauf zurückführen, dass er keinen klaren Gedanken fasst, sondern es ein psychotisches Gelaber ist.

"Frauen und Weisheit."
"Adam, Eva und der Junge mit der Bohnenstange"
Er rezitiert und wenn er einmal hakt, dann macht er Wellenbewegungen mit seinen Händen.
Eine Stunde lang und ich denke:
"Gebt mir die eine Stunde meines Lebens zurück."
Es ist schrecklich... fürchterlich...
Und als er weg ist gehe ich mit dem Hund spazieren.

Ich komme wieder und Anina redet.
Anina hat eine Geschichte geschrieben, die sie vorliest.
Es ist eine wunderschöne Geschichte, die das Leben schreibt...
Sie als sechszehnjährige ihr Kind zur Adoption freigegeben und immer den Verlust vor Augen und immere das Nichtwissen, was aus der Tochter geworden ist.
Sie, die dann noch eine Tochter bekommt und doch auf der Suche nach der ersten Tochter ist.

Und ich lächele, weil es grössere Unterschiede kaum zu geben scheint.
Der professionelle Geschichtenerzähler mit all dem TamTam und dem : "Ich gebe euch Weisheit"
und hier die kleine Anina, die ihren Kampf alleine kämpft, die vor Kraft strahlt und die im Rahmen dieses Abends ihre kleine grosse Geschichte erzählt...

Ich höre den anderen Geschichten zu.
Entferne mich immer weiter von diesen Frauen, die über ihre Kinder reden.
Ueber ihre Ehemänner und ihr leben.
Komme nicht an in diesem Abend in Coquitlam.
Bin nicht am richtigen Fleck Erde und wünsche mich nach Ivendorf, wo meine Wurzeln sind.
Und weiss doch -
Genau das gehört dazu...zum Leben in der Fremde.

Und ich hoffe im Grünen Jäger wird ein Bier und ein Tequila auf mich getrunken und darüber geredet wie fürchterlich ich mit 16 war...
Mit einem "Nicht lang schnacken. Kopp in Nacken."

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Mit feuchten Augen denke ich an Dich!!


Guter Hund!!

Lächeln von Dörthe